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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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Macht nicht loslassen konnte? Von Macht, sagt Reichelt, »habe ich nie etwas gespürt, aber sehr wohl von einem unheimlichen Verantwortungsgefühl«.
    Unheimlich
ist in jeder Beziehung das richtige Wort.

Genosse Geschmeidig
    Nur keine falsche Bewegung
     
     
    Gregor Gysi ist ein beharrlicher Botschaft er seiner selbst. Ihm allein hat die PDS ihren Aufschwung zu verdanken. Jetzt will er Regierender Bürgermeister von Berlin werden. Porträt eines Mannes, der viel redet und manches beschweigt.
     
    Eskortiert von Motorrad-Polizisten gleiten Limousinen mit Stander in den Hof des »Ritz-Carlton«. Pagen in feingestreift en Westchen reißen die Schläge auf. Dutzende Fotografen lauern. Jetzt kommt Gregor Gysi: Roter Teppich, großer Bahnhof – ist er bereits, was er erst werden möchte, Berlins Regierender Bürger-meister? Aber die schöne Schrecksekunde ist schon vorbei, der ganze Zauber im Grunewald gilt Außenminister Joseph Fischer. Im langen Schatten des Grünen (der sich hier mit seinem britischen Kollegen trifft) eilt Gysi unbeachtet durch die Hotelhalle. Die Augen huschen über Renaissance-Decken, kardinalsrote, seidenbespannte Wände, ein Interieur von pompöser Pracht. Sein Stammverein SED hätte sich die Szenerie beim Klassenfeind nicht üppiger ausmalen können. Heute besucht der PDS-Star dort den Lions-Club und wird über die »Zukunft der Linken in Europa« referieren. Zum trockenen Stoff passt ein süffiger Tropfen, Südtiroler Corolle, 21,51 Mark das Glas.
    Der Bundestagsabgeordnete wird zum runden Tisch geführt, sitzt bolzengerade. Ein Finger fummelt im Hemdkragen, als würde es ihm eng um den Hals – dermaßen umzingelt von den sogenannten Wirtschaft skreisen. Die im exklusiven Zirkel Versammelten repräsentieren einige hundert Millionen MarkUmsatz. Der 53-Jährige springt ans Rednerpult und sieht erleichtert aus.
    Einem Zirkus-Ansager gleich beginnt seine Vorstellung mit der Andeutung einer Verbeugung. Man sieht ihn oft diesen knappen Diener machen, die auffallend kleinen Füße nach Offiziersart akkurat ausgerichtet. Hübsch kalkuliert, signalisiert jungenhaft es Grinsen Harmlosigkeit. Gysi beherrscht ein ziemlich japanisches Lächeln, das als entwaffnend gelten könnte. Es mildert die forensische Kühle, die den Juristen umgibt.
    Nicht erst, seit er wählerwirksam die Liebe zu Berlin entdeckt, drängen sich die Bosse danach, den Salon-Sozi zu sehen. Was kann es Schöneres geben, als beim Bankett unter Kristalllüstern diesem furchtlosen Ritter der Tafelrunde zu lauschen. Prost Herr Nachbar, dezentes Gläserklirren, die Ober schenken gerne nach, derweil Gysi launig vom Ende des Kommunismus erzählt, sei es die »albanische, chinesische, sowjetische oder Titos Variante«.
    Bei Auft ritten im Freien tastet sein unsteter, fast panischer Röntgenblick zuerst die Menge ab, bis er dann aufb lüht, die Wangen rosig und wie von Make-up bestäubt. In der kleinen Runde fixiert er abwechselnd einzelne Gesichter, appelliert direkt an sie, ein auf Augenkontakt konditionierter Verkäufer, durchaus geschmeichelt vom Interesse der zahlungskräft igen Kundschaft. Nicht nur deshalb erinnert der Redner an Gerhard Schröder, von dem er das Fred-Astaire-haft e Tänzeln hinter dem Mikro und auch die Routinegesten hat, oberlehrerhaft gereckter Zeigefinger, pastoral vor dem unkleidsamen Zweireiher gefaltete Hände. Gern lassen sie sich von so einem furchtbar nett wirkenden Zeitzeugen die Beruhigung mitgeben, der »Zusammenbruch« der kommunistischen Herrschaft habe die »gesamte Linke in Mitleidenschaft gezogen«.
    Wer ins Ritz-Carlton gekommen war, um mit wohligem Schauer den Augenzeugenbericht vom Untergang einer Weltanschauung entgegenzunehmen, erlebt einen begnadeten Unterhalter. Gysi macht einen cleveren Eindruck, sogar einen zu cleveren, hat auf alles eine Antwort. Gemessen an seiner Schlagfertigkeit sind die Konkurrenten von CDU und SPD Stummfilmdarsteller. Verübeln könnte man ihm, doch nur auf Effekt und Rummel aus zu sein, obwohl er sich zu einem anderen Typus von Politiker stilisieren will. Mit einem Satz, der die Sophistik des Anwalts charakterisiert, handelt er seine PDS ab: Von ihren 80 000 Mitgliedern seien 20 000 nie in der SED gewesen. Ein typischer Fall von Zwiedenken, genauso wahr wäre zu sagen, an der Partei hängt Dunkles, nämlich 60 000 Altlasten. Eine davon ist er selber, seit 1967 Parteimitglied, Ende 1989 zum SED-Vorsitzenden gewählt, eine Woche später schmückte sich die damals verhasste

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