Die Stasi Lebt
ohne Eigenschaft en, überladen mit ehrfurchtgebietendenTiteln: Leiter des Staatlichen Komitees für Meliorationen (Bodenverbesserung), Vorstand des Kulturbundes, Staatssekretär, Land- und Forstwirtschaft sminister, Chef der Umwelt.
Adresse Schiffbauerdamm 15. Die Situation: Hans Reichelt im Amt. Am Eingang Überwachungskameras, dick wie Kanonenrohre. Lange Flure ohne Wegweiser. Nach dem täglichen Schwimmen im Dynamo-Bad sitzt der »Genosse Minister« an seinem ausladenden Schreibtisch im Raum 711, umsorgt von Chefsekretärin Rita Schulz. Der Blick streicht über die von Sichtblenden eingezäunte Spree. In Vitrinen Nippes aus aller Welt. Im Topf mickert Zimmergrün, Sorte Ficus. Darüber das Porträt Honeckers neben Fotos der Mongolei. Vor Reichelt liegen die vom Zentralen Kurierdienst, ZKD, in versiegelten Taschen übergebenen Westzeitungen. Er liest die
Frankfurter Rundschau, Die Welt,
das Magazin
natur.
Nach der Lektüre verschwinden die Gazetten in der Verschlussstelle, VS, zur Vernichtung. Übrig bleibt der
Pflüger
, bleiernes Blatt der Bauernfunktionäre.
Sagenhafte Gerüchte kursierten über die Innenausstattung seiner Behörde. Ein Organigramm existierte nicht. Montags um acht die Besprechung mit dem Stab im Beratungszimmer. Strenge Tischordnung. Zu seiner Rechten Parteisekretärin Barbara Richter. Links der verbiesterte Staatssekretär Reinhold Fiedler, höchster SED-Kader im Haus. Mit in der Runde der unvermeidliche Horst Ribbecke, Chef der Abteilung Inspektion und Kontrolle, IKA, sonst im achten Stock hinter einer Tür mit Klingel abgeschottet: Das Ohr der Stasi, mit der Personalnummer 991800 und 39 750 Mark Jahresverdienst auf ihrer Liste geführt. Ein Schnappschuss zeigt ihn als Ehrenbegleiter in Auerbachs Keller zu Leipzig neben dem Bonner Gast Klaus Töpfer. Überbeider Köpfe ist das faustische Motto zu lesen: »Nur frisch hinunter! Immer zu! Bist mit dem Teufel du und du.«
Selbst im Fahrstuhl ist der Dienst, hier »Horch & Guck« genannt, abhörbereit. Alle Telefone sind angezapft. Einem Mitarbeiter offenbart Reichelt, dass er sich auf Schritt und Tritt von eigenen Leuten bespitzelt fühle. Einmal beschwert er sich darüber im ZK. Unter 147 überprüft en Mitarbeitern werden in jüngster Zeit zwanzig Zuträger enttarnt. Eigenhändig versiegelt der Chef aus Geheimschutzgründen jeden Abend sein Büro. Mit dem gewichtigen Minister, der sich, umspielt vom steifen Lächeln der Protokolldame Mechthild Teinert in die Regierungslimousine wuchtet oder Westdelegationen mit theatralischem Schwung den angeblichen Musterbetrieb VEB Synthesewerk Schwarzheide vorführt, hat der Rentner Reichelt nur noch den Namen gemein. Wer ihn heute aufstört, trifft einen gezeichneten Mann, nun, da keine Propaganda mehr die zum Himmel stinkende DDR-Normalität mildert.
Schon immer fiel in Reichelts von Frust eingedicktem Gesicht eine gewisse Erstarrung auf. Die typische Physiognomie des Berufsfunktionärs, bei erdrückendem Herrschaftswissen darin geübt, Emotionen zu verdrängen. Melancholie lag allerdings noch in stillem Kampf mit der Magie des Selbstbetrugs. Der familiäre Schicksalsschlag, der Verlust von Amt und Prestige vermehrten diesen Zug so stark, dass der Minister a. D. wie das Sinnbild seines Scheiterns im Türrahmen steht: ein politischer Zeuge wider Willen, in dessen Scherbenwelt sich das ganze Desaster der DDR spiegelt. »Es ist nicht schön«, sagt Reichelt im schweren, schlesischen Dialekt, »immer genannt zu werden mit dieser Politik.« Nach der Wende flüchtete Hans Reichelt in beredtes Schweigen. Zögernd beschwört er jetzt zum ersten Mal öffentlich sein Bild als Umweltminister, der im Zentralkomitee auf taube Ohrenstieß. Einerseits beharrt er darauf, seine Arbeit, sein Leben, nein, nichts sei vergeblich gewesen. Angriffslustig überspielt er die Verunsicherung, die ihm die Gegenwart verdüstert. Andererseits wählt er mit gut dosiertem Pathos die Leidensform für seine Schilderung. Die in Stichworte zerfallende Erinnerung hält den Gedanken hoch, »dass ich immer versucht habe, weit mehr zu machen, als ich durfte!«. Er gebe zu, die Schere zwischen den Idealen und dem erlebten Leben sei zunehmend größer geworden. Konkret seien viele Initiativen im Politbüro gescheitert, er nenne nur den Namen Günter Mittag: »Der hat kein einziges Mal mit mir eine Sachdiskussion geführt.« Aufs Konto des ZKSekretärs gehe auch die Geheimhaltung der Umweltdaten, so dass die Bürger bis zuletzt von Amts wegen
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