Die Stasi Lebt
Truppe mit dem Etikett »Partei des demokratischen Sozialismus«.
Ob vor Gleichgesinnten, ob im Bundestag vor dem Kanzler, mit Gysi turnt ein beharrlicher Botschaft er seiner selbst am Pult. Haft ete dem Quirl einst der Hauch nicht domestizierter Wildheit an, hat sich der Stallgeruch verflüchtigt. Jetzt würden die Zuhörer bei ihm persönlich durchaus einen Trabi, pardon Volkswagen kaufen. Wenn er bloß nicht diese komische Partei hinter sich hätte. Spricht ihr ehemaliger Chef deshalb kaum von seiner PDS?
Die Bindung habe einen »sentimentalen Zug«, betont Gysi später im Büro. Stapel seines Buches »Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn« türmen sich auf dem Sofa. Das ihm verliehene »Goldene Mikrofon« glänzt im Regal, Aspirin-Tabletten liegen herum, ein Faxgerät schnurrt. Überlagert von kaltem Rauch, riecht es ein wenig nach einer möglichen Wahlsensation. Und ein bisschen riecht es nach Angst vor der eigenen Courage. Moment, dakommt ein Gespräch von Lafontaine herein. Entschuldigung, das muss geführt werden, die Tür geht zu. Beteiligt sich Oskar an einer Gysi-Wählerinitiative? »Nein, der würde ja aus der SPD ausgeschlossen.«
Mit nervösem Gebaren versucht Gysi dann sein Verhältnis zur PDS zu charakterisieren. Es gilt mindestens als gestört. Wir trafen ihn über dem Wahlprogramm sitzend an. Er lässt das Papier links liegen, schwärmt lieber von Mitgliedern, »von 60 Prozent Gefühlsarbeit«, roten Fahnen, Symbolen, hebt so die Beziehung vom Inhaltlichen auf die Ebene des rein Zeichenhaft en. Der Politiker schildert, wie er selbst Hand an die Leitsätze gelegt, die Genossen beschworen habe: »Ihr müsst euch nicht zu allem äußern!« Mit Gespür für Reizthemen (und Opportunismus) setzte er das im Sparkonzept gestrichene Polizeiorchester wieder ein, sagte den Seinen, es gebe nun mal Menschen, »die Marschmusik mögen«. Gysis Empfehlung: »Die Außenwirkung ist entscheidend. Nicht unser Innenleben.«
Als müsse er mit atemloser Prosa einen Parteitag wachhalten, lässt er sich kaum durch Einsprachen irritieren. Wer ihr Motto »Miteinander für Berlin« als verkappten Appell Gysis an die PDS (und der PDS an Gysi) deuten will, beißt auf Granit: »Wir lassen uns von außen nicht entsolidarisieren!« Internen Streit, Entfremdung nennt der Postkommunist euphemistisch »produktive Differenz«, zieht gierig an der Marlboro. Andererseits erklärt er metallener als der Kanzler, »Regierungsverantwortung erfordert Disziplin. Das muss die Partei wieder lernen!« So kann nur reden, wer sich als wahres PDS-Wirkungszentrum begreift. Hält man ihm sozialdemokratische Anwandlungen vor, was soll’s: »Mit Bebel habe ich kein Problem, nur mit Scharping.«
Für einen Politiker, der gestern noch seinen Ausstieg zelebrierte, ist Gysi verdammt gut im Geschäft. Eben träumte er vom anderenLeben, bemühte das immer wieder gern gehörte Argument, mehr Zeit für die Familie haben zu wollen. Als er sich dennoch für Berlin erwärmte, meldeten die Nachrichten, es sei eine schwere Entscheidung zwischen »Herz« und »Verstand« gewesen. Bemerkenswerte Eitelkeit, tiefsitzender Ehrgeiz und Sendungsbewusstsein kamen in den rührenden Storys weniger vor. Bei Auft ritten vor dem Roten Rathaus (wo ihm ein einsamer Protestler »Nie wieder Kommunismus!« entgegenschleudert) oder auf dem Bebelplatz (wo die Giebelfigur der Th eatermuse Th alia mit Maske gut zum Anlass passt) gibt er mit aufpolierter Ortskenntnis den ideellen Gesamtberliner. Es trifft sich, dass der Tiefpunkt des Landes Berlin mit dem Zenit von Gysis Popularität zusammenfällt: Sein Buch steht auf der Bestseller-Liste. Er wirft den Hut in den Ring, schon berappelt sich die PDS, springen Zeitgeist-Surfer mit auf die Welle und finden die Spießertruppe »hip«. Es hat den Anschein, als zahle sich im Zeitalter der Begriffsverwirrung der Versuch aus, die SED-Diktatur auf Anekdoten zu reduzieren. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem Alt-Kommunisten als Folkloristen gelten werden, etwas irre zwar, aber sonst ganz in Ordnung.
Gysi kämpft. Es geht um Berlin, die PDS-Schlüsselstelle. Beim Wahlauft akt am Roten Rathaus steigen Ballons zum Fernsehturm auf, am Fuße spielt ein Quartett klassische Musik. Genossen vermissen prompt die Arbeiterlieder, sie werden beruhigt, man singe die Internationale sicher wieder. Sonst dominierten in ihren Reihen von Bitterkeit durchdrungene Verlierer. Jetzt stehen sie Seit’ an Seit’ wie Heimkehrer, stark bewegt von dem
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