Die Statisten - Roman
zwischen Morgen und Mittag nicht fünf oder sieben Stunden, sondern war die unüberbrückbare Kluft zwischen dem Möglichem und dem Nichtmöglichem. Pater Agnello DâSouza stellte seiner Gemeinde von St. Sebastianâs immer wieder dieselbe Frage: Was ist die Heilige Kirche anderes als das Licht am Ende des Tunnels? Doch Eddie ging langsam auf, dass der Priester nicht der beste Ratgeber im Leben war. Es gab gar kein Licht, nur einen Tunnel, der zwischen Hoffnung und Auslöschung der Zukunft verlief.
Er kam sich vor wie einer dieser Wiederkäuer, über die er in der Schule in seinem Biologiebuch gelesen hatte. Ständig kam die Geschichte mit dem US -Visum wieder hoch, und dann musste er endlos an den Warums, Wiesos und Weshalbs seines in die Hose gegangenen Besuchs im amerikanischen Konsulat herumkauen. Eddies Leben gründete auf einer einzigen Annahme, beziehungsweise war es weniger eine Annahme als ein Glaubenssatz. Seit seiner Kindheit wusste er, dass er einmal den Planeten aufmischen und ein Hollywoodstar werden würde. Zu diesem Zweck hatte er sein Leben in der Warteschleife gehalten. Er hatte den Job im Auntie-Lokal angenommen, die Ãrmlichkeit des Lebens im Chawl ignoriert, die grenzenlose Verbitterung und das dauernde Genörgel seiner Mutter ertragen, ohne auch nur ein Mal Widerworte zu geben oder ihr ein paar unbequeme Wahrheiten über sie selbst zu sagen. Die Bandra Bombshells waren die beste Rockband der Stadt, und trotzdem hatten sie es nicht nach oben geschafft. Jeder andere hätte den Mut und die Hoffnung verloren, aber nicht Eddie.
Er hatte sich nie von Rückschlägen demoralisieren lassen; im Gegenteil, er hatte sie von jeher als Anlass zur Festigung seines Entschlusses willkommen geheiÃen. Der Misserfolg war lediglich eine Stufe, die einen näher ans Ziel brachte. Geschlagen gaben sich nur Feiglinge. Schwanken, Aufgeben, den Mut verlieren waren Formen des Sichgehenlassens. Damit hatte Eddie nichts zu schaffen.
Er wusste durchaus, dass er zu den Glücklicheren zählte. Viele Katholiken aus den CWD -Chawls hatte er Kellner, Mechaniker, Kino-Platzanweiser, Büroschreiber, Matrosen in der Handelsmarine werden sehen â und zwar nicht, weil sie es gewollt hätten, sondern schlicht, weil sie nicht wussten, was sie von ihrem Leben erwarten sollten. Dieses Problem hatte Eddie nie gehabt. Er wusste es; er wusste es bereits in einem Alter, in dem die meisten Jungen keine weitreichenderen Pläne hatten, als am Abend einen Drachen steigen zu lassen, am kommenden Samstag mit ihrem Team eine gegnerische FuÃballmannschaft zu schlagen oder der kleinen Schwester was auch immer heimzuzahlen. Vor allem aber wusste Eddie, dass man in der Kunst monogam sein musste. Hat man sich erst einmal für eine Geliebte entschieden, hält man zu ihr, komme, was wolle. Er hatte sein Ziel niemals aus den Augen verloren und hatte in all den Jahren keine Probleme gehabt, auf Kurs zu bleiben.
Die Musik, die er hörte und selbst spielte, war von jeher amerikanischer und britischer Rock ânâ Roll gewesen. Und die Filme, die er sich ansah und mit denen er sich identifizieren konnte, kamen aus Hollywood. Es war âRock Around the Clockâ, der ihn zu einem unheilbaren Musik- und Filmjunkie gemacht hatte, nicht etwa Hindi-Filme wie âShin Shinaki Babla Booâ oder so ein Blödsinn wie âJungleeâ. Es gab nur einen Ort auf der Welt, der ihm beides bieten konnte, seine Vorstellung von Musik und Film. Das war Hollywood. Dort war Elvis zum Filmstar und zur einflussreichsten Musik-Ikone der Welt geworden.
Eddie war ein geradezu pathologischer Perfektionist. Er zwang die Bombshells zu endlosen Probesessions, und er lieà sie selbst die einfachste Melodie so oft wiederholen, bis sie den Bandmitgliedern zum Hals raushing. Belle sagte, er habe das absolute Gehör und sei eine absolute Nervensäge. Am Schlagzeug war er ein Ass geworden, und sein Gesang hatte eine Intonation und einen Stil erreicht, die unübertroffen waren. Eines fehlte allerdings noch: Star-Qualität. Was er noch brauchte, war etwas wie der Schrittmacher bei einem Marathonlauf, jemanden, der ihn anstachelte, ihn über die eigenen Grenzen und Begrenzungen trieb, sein Talent schärfte und sein ÃuÃeres polierte. Er musste sich mit den Besten der Welt messen. Er musste nach Amerika.
Die Amerikaner waren keine stupiden, engstirnigen Bürokraten wie die Inder. Sie
Weitere Kostenlose Bücher