Die Statisten - Roman
Phantasien nicht hätten ausmalen können. Die Coutinhos waren jetzt endgültig erledigt, und sie würde ihren Nachbarinnen nie wieder in die Augen sehen können.
Violet hatte endlos verbreitet, dass ihr Sohn bald eine exklusive Automobil-Reparaturwerkstatt eröffnen würde (sie hatte sich gehütet, das plebejische Wort âAutoâ zu verwenden), doch von nun an würden sie ihr bei jeder Gelegenheit unter die Nase reiben, er sei nur ein gewöhnlicher Krimineller. Und noch während sie das dachte, erschien ihr das Bild des boshaft-charmant grinsenden Eddie vor Augen, der sie lachend unterbrach: âWäre es dir lieber, wenn ich ein ungewöhnlicher Krimineller wäre, Mama?â Violet sah, wie ihr Sohn in seine Zelle zurückgeführt wurde, und begriff, dass dies ein Mann war, den sie nicht kannte, niemals gekannt hatte. Er hatte sie angelogen, und sie hatte ihm, arglos, blauäugig, alles geglaubt. Sie fragte sich, warum sie sich Tag für Tag bemüht hatte, ihren Sohn zu einem guten, anständigen Menschen zu formen. Sie hatte sich jede erdenkliche Mühe gegeben, ihn zur Disziplin zu erziehen, aber wie weit hatte sie das gebracht? Oder, was diese Sache anging, ihn? Tatsache war, dass man seinen Sohn fördern konnte, wie und so viel man wollte; man konnte ihn verhätscheln und verwöhnen, ihn auf die besten Schulen schicken, ihm alle Möglichkeiten bieten, die man seiner Tochter verwehrte; oder man konnte streng sein und ihm die Rute zu spüren geben, ihn an die Kandare nehmen oder ihm absolut alles erlauben â es hatte keinerlei Einfluss darauf, was aus ihm wurde. Er konnte zu einem anständigen, verantwortungsbewussten und fürsorglichen Menschen heranwachsen, ebenso wie zu einem Drogensüchtigen oder Mörder, in hunderterlei Hinsicht missraten, aber das würde nichts, absolut nichts mit einem selbst und den eigenen Vorstellungen von richtiger Erziehung zu tun haben.
Sie erinnerte sich an die erste Zeit nach Eddies Geburt. Daran, wie schuldig und unmenschlich sie sich dank der Nachbarinnen und der Priester gefühlt hatte. Sie hatten es nicht offen ausgesprochen â na ja, eine von ihnen vielleicht doch â, aber sie hielten sie alle für ein Ungeheuer, für eine vom Teufel Besessene. Es war sogar die Rede davon gewesen, einen Exorzismus an ihr durchzuführen. Ihre Mutter wich ihr nicht von der Seite, auÃer wenn sie auf die Toilette musste; sie achtete sogar darauf, mit der morgendlichen Verrichtung ihrer Notdurft fertig zu sein, bevor Violet aufwachte. Sie versuchte, es möglichst unauffällig zu machen, aber sie lieà sie nicht aus den Augen, selbst wenn sie so tat, als würde sie nur Kleidungsstücke zusammenfalten oder die Wohnung zu kehren. Sie weigerte sich, das Baby mit der Mutter â oder auch nur in der Wiege â allein zu lassen, auÃer wenn Violet ihm die Brust gab. Ihre offenkundig unwahre Ausrede lautete, dass Violet erschöpft sei. Das war sie tatsächlich, jedoch nicht halb so erschöpft wie ihre Mutter, die selbst nachts kein Auge zumachte aus Angst, dem Neugeborenen könnte ausgerechnet von seiner eigenen Mutter Gefahr drohen.
Die Ãrzte nannten das âpostnatale Depressionâ. Wie falsch sie damit lagen! Es war postnatales Vorauswissen, nicht mehr und nicht weniger. Möglicherweise war das die klarsichtigste Zeit ihres Lebens gewesen, ein Vorahnen dessen, was da kommen würde, und die einzige Chance, die sie hatte, künftigem Unheil vorzubeugen. Sie hatte dieses satanische Kind, das unter dem widernatürlichsten Stern geboren worden war und schon vor seiner Geburt so viel Unheil angerichtet hatte, mit jeder Faser ihres Herzens loswerden wollen. Sie hatte versucht, es zu ersticken, während es an ihrer Brust saugte; sie hatte so getan, als streiche sie nur seine weiche Baumwolldecke glatt, während sie ihm ein kleines Kissen aufs Gesicht drückte. Doch ihre Mutter war immer sofort zur Stelle gewesen und hatte ihr das Kind ohne jeden Kommentar weggenommen. Violet war kein Mensch, der sich so leicht entmutigen lieÃ, und sie hatte das Baby, während sie es in der kleinen Plastikwanne badete, unter Wasser gedrückt. Wenn ihre Mutter nicht immer dazwischengefunkt hätte, bräuchte sie jetzt nicht beschämt dazustehen, während dieser Polizeiinspektor hämisch über ihre Ahnungslosigkeit kicherte.
Als sich einige Zeit zuvor herumgesprochen hatte, dass
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