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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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Flächen zwischen den Chawls anzufliegen.
    Violet schaute an den CWD -Gebäuden hoch, und die schmierige Zeltplane löste sich aus ihrer Verankerung und stürzte herab, bis sie sie wie ein Leichentuch umhüllt hatte und sie keine Luft mehr bekam.
    â€žHier wohnst du?“
    â€žNicht nur ich, wir drei“, schrie Victor gegen den betäubenden Lärm des Regens an. „Das erste links, Nummer 17. Wir wohnen im fünften Stock. Wenn du dann noch eine Treppe höhersteigst, auf die Terrasse, hast du eine atemberaubende Aussicht. Von dort kannst du das Arabische Meer und die Schiffswerften sehen.“
    Was hätte es für einen Sinn gehabt, diesem Mann zu erklären, dass sie es all die Jahre lang nicht nötig gehabt hatte, sechs Stockwerke hinaufzusteigen, um das Arabische Meer und seine spektakulären Possen zu sehen, sondern nur aus dem Fenster zu schauen brauchte?
    Während sie sich in den Hainen hinter dem Herrenhaus ergingen, hatte der Adjutant des Gouverneurs Violet von einer geheimnisvollen Stelle im Atlantik, dem Bermudadreieck, erzählt, wo Schiffe spurlos verschwanden. Als sie jetzt durch den strömenden Regen auf ihr künftiges Zuhause schaute, sah auch sie ein Dreieck. Dessen Basis war die Linie, die ihre Augen verband, und dessen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab, lag nicht am Horizont, sondern in ihrem Zimmer im fünften Stock von Chawl Nr. 17. Genau in dem Augenblick, in dem ihre goldenen Jahre hätten beginnen sollen, war ihr Schiff schon auf Nimmerwiedersehen im Bermudadreieck verschwunden.
    Violet stieg die fünf Treppen hinauf, und jede Stufe, die sie nahm, stieß sie tiefer in Dantes Hölle hinunter. Victor schloss auf und hielt ihr und ihrer Mutter die Tür auf. Zwei Zimmer, oder besser gesagt, ein Zimmer, das durch eine hölzerne Trennwand in zwei geteilt worden war. Das einzige Fenster befand sich in der Küche. Das andere Zimmer, das mit dem Einzelbett, das Victor als „Vorderzimmer“ bezeichnete, war düster wie ein Kellerloch. Wo sollte ihre Mutter wohnen?
    â€žWo ist die Toilette?“, fragte Violet.
    â€žAch, am Ende des Korridors. Benutz die zweite. Da funktioniert die Spülung in aller Regel.“
    War das der Moment, in dem Violets Herz vereiste, um nie wieder aufzutauen, und sie sich innerlich aus ihrer Ehe zurückzog? Victors Tante hatte gesagt, er habe eine eigene Wohnung, und Violet hatte das für bare Münze genommen. Wie sie die Sache sah, hatte Victor sie bezüglich seines „Apartments“ bewusst getäuscht, sie übertölpelt, sie so dazu gebracht, ihn zu heiraten, um sie dann in dieses Dreckloch ohne jede Privatsphäre zu verschleppen, ohne ein eigenes Schlafzimmer oder ein abgetrenntes Zimmer für ihre Mutter. Nicht einmal eine Toilette gab es! Man stelle sich vor, mit zwanzig anderen Leuten anstehen zu müssen, um seinen Körperfunktionen freien Lauf lassen zu können! In Goa hatten selbst die Ärmsten der Armen die Abgeschiedenheit der offenen Felder für ihre morgendliche Entleerung.
    War es dieser erste Tag in Bombay, der Violets Lebensmut brach? Oder war CWD -Chawl Nr. 17 lediglich der letzte Tropfen in einer Serie von Enttäuschungen? Vielleicht hatte alles mit der Untreue und Verlogenheit ihres Vaters angefangen, und es war der Verlust ihres Zuhauses, ihrer Ländereien, ihres Lebensstils und gesellschaftlichen Status gewesen, der sie verbittert und ihrer Zukunft entfremdet hatte. Vielleicht war es die Einsicht gewesen, dass sie niemandem als sich selbst die Schuld geben konnte, weil sie die ihr gebotenen Chancen verspielt hatte. Hatte das Schicksal ihr in Gestalt des Adjutanten des Gouverneurs von Goa einen Antrag gemacht, und war sie zu widerspenstig und zu kratzbürstig gewesen, um sich von ihm verführen zu lassen?
    Victor begriff nie, was zwischen ihn und seine Frau gekommen war. Es war ein Schleier, undurchsichtig, nicht zu umgehen und unzerreißbar, und umso frustrierender, als er unsichtbar war und, wer weiß, vielleicht auch nur pure Einbildung. Er versuchte auf verschiedene Weisen, Violets Herz zu gewinnen. Er kaufte ihr eine Perlenkette, flog mit ihr in den Urlaub nach Hongkong mit dem ihm zustehenden jährlichen Gratisticket, arbeitete hart und kam in seinem Job voran. Er hoffte, Violet würde auftauen, weich werden und aufblühen, wenn sie erst einmal in ihre neue Wohnung gezogen wären.
    Und schließlich erfuhr Violet, dass

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