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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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Melodie inspiriert hatte. Manchmal sogar zu einer kompletten Serie von Songs. Allein sein CWD -Chawl Nr. 17 bot genug Material für eine Myriade Kompositionen. Der erste Riss am Himmel, wenn der Lieferwagen von Aarey Dairy im Morgengrauen beim Milchladen hielt; das Geräusch der älteren Hausbewohner, die sich auf dem Balkon die Zähne putzten, indem sie an bitteren Akazienzweigen herumkauten, gefolgt von den gräßlichen Geräuschen, wenn sie sich den Finger tief in den Rachen steckten, um die Zunge zu reinigen, und das in aller Öffentlichkeit; die Kinder, die die Treppe hinunterrannten, um den BEST -Bus zur Schule zu erwischen; das Zischen des Wassers, in das Mr Pereira einen Löffel Eno’s Brausepulver rieseln ließ; die frenetischen Bemühungen der Tauben, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit gegenseitig zu besteigen; der dumpfe Aufprall eines bejahrten Balls gegen einen Cricketschläger, der einen Sixer zu schaffen versuchte; das erste Grün des neuen Laubs am Regenbaum neben der Turnhalle der Sabha ; das Geräusch der Nähmaschine seiner Mutter; Pietas Kopf, der fast ihre Knie berührte, während sie mit einem dünnen Handtuch auf ihr frisch gewaschenes Haar schlug, um das Wasser herauszubekommen; das Zikadenzirpen des einsaitigen Instruments, das die Ankunft des Baumwollkämmers ankündigte, der ihre Matratzen wieder aufbereiten würde; Belles weiche, saftig-feuchte Vulva; die Frauen, die, zwei oder drei Krüge voll Wasser auf dem Kopf balancierend, ohne sie auch nur ein Mal mit der Hand abzustützen, die Treppe hinaufstiegen – alles, was er sah, roch, hörte, berührte, schmeckte und dachte, hatte sich noch vor ein paar Monaten in Musik transformieren lassen.
    Doch jetzt hatte ihn, nach seiner Mutter, auch die Musik im Stich gelassen. Während er auf Belles Bett lag, versuchte er, den alchemistischen Prozess zu reaktivieren, der die alltäglichsten Wahrnehmungen und Begebenheiten in Rock ’n’ Roll verwandelt hatte, in Blues, Jazz-Improvisationen und bisweilen sogar in nahe Verwandte der klassischen Formen, die Belles Mutter ihn gelehrt hatte. Doch das Glück hatte sich von ihm verabschiedet. Sosehr er sich auch bemühte, gelang es ihm nicht, es zurückzulocken. Was war nur passiert? Hatte seine Mutter ihn verhext?
    Krishna Kumars Schauspielunterricht besuchte er weiterhin fast täglich, aber nur, weil Belle die Kursgebühren bezahlt hatte. Vor Mrs Fernandes’ Tod hatte er jedem im Auntie’s, der nichts dagegen hatte, ganze Szenen aus Hindi-Filmen vorgespielt. Die Gäste mussten erraten, welchen Schauspieler oder welche Schauspielerin in welchem Film er jeweils kopierte. Er wusste, dass er gut war, denn sie baten ihn, bestimmte Szenen aus ihren jeweiligen Lieblingsfilmen nachzuspielen, wie zum Beispiel „Shri 420“, „Ganga Jumna“, „Paying Guest“ oder „Chalti ka Naam Gaadi“. In der guten alten Zeit, als seine Mutter noch glaubte, er sei Automechaniker, hatte er zu Hause Pieta zu jeder sich bietenden Gelegenheit aufgefordert, spontan zu sagen, was ihr an Bildern oder Gedanken gerade durch den Kopf ging. Sie war fast immer in das eine oder andere Buch aus der British Council Library vertieft und versuchte, sich zu drücken. Das war jedoch ein schlechter Schachzug, da Eddie ein Nein nicht gelten ließ und nur umso hartnäckiger wurde. Er nannte sie dann eine Spielverderberin und noch ein paar andere Dinge und setzte ihr zu, bis sie schließlich nachgab und ihn mit einem listigen Funkeln in den Augen aufforderte, einen blinden Taubstummen zu spielen, in der Hoffnung, ihn damit ruhigzustellen. Doch das hatte die genau entgegengesetzte Wirkung. Über den Auftrag begeistert, hampelte Eddie wild herum, gestikulierte in einer ad hoc erfundenen Zeichensprache, tastete ihr Gesicht und ihr Buch ab und schmiss alles um, was in Reichweite stand.
    Manchmal, wenn sie in Stimmung war, ging sie auf das Spiel ein und sagte etwa: „Deine Tochter ist durchgebrannt, sie hat den Sohn deines ärgsten Feindes geheiratet, und du bist gerade dabei, sie aus dem Haus zu werfen!“ Und Eddie ließ eine melodramatische Tirade vom Stapel, schrie und zeterte und ließ sich über die Ehre der Familie aus und die Schande, die sein eigen Fleisch und Blut durch das Zusammenleben mit diesem Sohn des Satans über selbige gebracht hatte, und da er Eddie war, griff er sich natürlich den Stock,

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