Die Staufer und ihre Zeit
begehrten Kupferschiefer immer noch nicht gefunden. Da plötzlich, es war im Dezember 1865, vier Tage vor Weihnachten, brachen sie mit ihren Pickeln durch eine Wand, hinter der sich ein geheimnisvoller Hohlraum öffnete. Im Schein ihrer Grubenlaternen erblickten die Bergleute bizarre Gipsgebilde an Decken und Wänden. Sie hatten eine riesige Höhle aus Anhydrit-Gestein entdeckt, die sich in vielen Verzweigungen, so zeigte sich, über 13 000 Quadratmeter erstreckte.
Der Fund war so sensationell, dass bereits drei Wochen später die erste Gruppe durch die Höhle geführt wurde. Über 2600 Besucher kamen allein im ersten Jahr. Das Mineral Anhydrit quillt unter Feuchtigkeit auf und verwandelt sich, in phantastische Formen berstend, zu Gips.
Aber da war noch etwas anderes, das zur Faszination beitrug: Erzählte nicht die Sage, dass der legendäre Kaiser Barbarossa in einer unterirdischen Zuflucht schlafend darauf warte, im rechten Moment das deutsche Kaisertum zur Vollendung
zu führen? Dass dieses Versteck im Harz, im Kyffhäuser, liegen könne, hatte bereits um 1421 der Geschichtsschreiber Johannes Rothe in seiner »Thüringischen Chronik« beschrieben. Er berichtet darin von einem »ketzerischen Glauben«, nach dem »Keißer Frederich noch lebe unde der her wander zu Kuffhußen yn Doringen uf dem wüsten Sloße«.
War die Felsengrotte mit ihren sonderbaren Gipsausformungen vielleicht dieses »wüste Schloss«? 1891 wurde die inzwischen sorgfältig vermessene Höhle mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet – gerade rechtzeitig vor dem eigentlichen Ansturm. Denn zehn Kilometer weiter im Kyffhäuser-Gebirge wurde gerade ein Denkmal von nationaler Bedeutung errichtet: eine Heldengedenkstätte für den verstorbenen Kaiser Wilhelm I., der hoch erhoben und zu Ross über einer mächtigen Steinskulptur des Stauferkaisers Barbarossa thront.
Der Kyffhäuser – auf Ruinen der alten Reichsburg aus Stauferzeiten steht das 1896 eingeweihte Monument, das Kaiser Wilhelm I. als Vollender der Reichsidee Barbarossas feiert.
Hier, in den Ruinen der mittelalterlichen Reichsburg Kyffhausen, sollte die kaiserliche Linie von den Hohenzollern zurück zu den Staufern für alle sichtbar gezogen werden. »Auf dem Kyffhäuser, in welchem nach der Sage Kaiser Friedrich der Rotbart der Erneuerung des Reiches harrte, soll Kaiser Wilhelm der Weißbart erstehen, der die Sage erfüllt hat«, heißt es in der Urkunde zur Grundsteinlegung im Mai 1892 – Barbablanca, der Heldenkaiser, der 1871 endlich die langersehnte Einheit der Deutschen zustande brachte.
Und in der Anhydrit-Höhle, die längst offiziell zur »Barbarossa-Höhle« erklärt war, stand nun ein steinerner Thron für den Kaiser mit Tisch davor, durch den, wie die Sage erzählt, sein Bart schon hindurchgewachsen ist. Die Rottlebener Höhle in der idyllischen Landschaft knapp 70 Kilometer nördlich von Erfurt kann man heute besichtigen, das Wilhelm-Denkmal »Für Kaiser und Reich« ist zum Museum geworden, inmitten der wunderschönen Kulisse der Burgruine. Der Kyffhäuser mit seinem gigantomanischen Denkmal markiert den Höhepunkt einer nationalen Überhöhung der Staufer, die das schwäbische Herrschergeschlecht zum Urbild des deutschen Kaisertums erhob.
Die Staufer waren – und sind – so beliebt wie keine andere Dynastie des Mittelalters, kein Ottone, kein Salier konnte es je mit ihnen aufnehmen an Popularität. Sie alle, ob Friedrich I., Barbarossa, Heinrich VI., Friedrich II., seine Söhne
Manfred, Enzio und Heinrich, der arme Konradin, wurden zu Helden unzähliger Dramen, Balladen und Gedichte, die meisten sind heute vergessen.
Warum gerade diese Familie schwäbischer Herzöge, die sich selbst erst in der Zeit Friedrichs II. als Staufer bezeichnen? Ihr Aufstieg beginnt im Jahr 1079, als der Salier Heinrich IV. aus machtpolitischem Kalkül den jungen Grafen Friedrich, einen treuen Gefolgsmann, zum Herzog von Schwaben macht und ihm seine Tochter Agnes zur Frau gibt. Stammsitz des Schwiegersohns wird die Burg »Staufen« auf dem Hohenstaufen, der Name geht später auf die Familie über. Der erste Staufer, dem es nach etlichen Wirren gelingt, von den deutschen Fürsten einhellig zum »König des römisch-deutschen Reiches« gewählt zu werden, ist Konrad III. 1138 ist das, und nun regiert die Dynastie fast 130 Jahre lang, bis der gerade 16-jährige Konradin im Kampf gegen Karl von Anjou und den Papst unterliegt und hingerichtet wird.
Was hebt die Staufer ab von anderen
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