Die Staufer und ihre Zeit
verdanken, die einen neuen Stand hervorgebracht hatte, nämlich den der höfischen Ritter. Kunst und Dichtung sollten nicht mehr den Klerikern allein überlassen sein, sondern auch den Laien offenstehen. Die Ritter hatten wegen der Kreuzzüge an Bedeutung gewonnen, sie eroberten sich führende Positionen im politischen und gesellschaftlichen Leben. Zur Festigung ihres Standes, zur Selbstvergewisserung, ja zur Selbstverherrlichung brauchten die Ritter Hofsänger, die ihre Taten dichtend überhöhen sollten. Die Hofsänger hatten die ritterlichen Ideale zu propagieren: die Ideale des »hohen muotes«, der »mâze« und »froïde«.
Die höfische Kultur war Walthers Ausgangspunkt, es war auch sein Auftrag, das Maß in allen Dingen zu preisen. Doch war es Walthers Leistung zu zeigen, dass es zwar diese Ideale gab, dass es aber schwer sein konnte, ihnen nachzustreben. Ihm selbst fiel das Maßhalten schwer. Der Germanist Hans-Uwe Rump porträtiert ihn in einer Biografie als Mann
»voller Leidenschaft und innerer Unruhe, nicht selten auch voll Hass«.
Als ein Herr Atze bei Eisenach Walthers Pferd getötet hatte, fragte Walther dichtend seinen Diener:
Was möchtest du lieber reiten: eine goldene Katze
oder jenen komischen Gerhard Atze?
Bei Gott, selbst wenn es Heu fräße, das wär doch ein seltsames Pferd.
Ihm rollen die Augen wie einem Affen,
und er sieht aus wie ein Gockel.
Gebt mir nur diesen Atzen, dann bin ich gut bedient!
Auch mit dem hochartifiziellen Minnesang an sich tat sich der berühmte Minnesänger schwer. Die höfische Verskunst war dazu gedacht, die Ritter zu erziehen, sie sollten so Selbstdisziplin und Verzicht lernen, da es für die Männer immer darum ging, eine »hohe Frau« dichtend und singend anzubeten, um sie zu werben, sie dann aber doch nicht zu bekommen, sich also mit endloser Sehnsucht abzufinden.
Walther versuchte sich in seiner Anfangszeit als Minnesänger in die Vorgaben zu fügen und dichtete brav:
Minne ist die Fülle aller guten Eigenschaften,
ohne Minne kann nie ein Herz wahrhaft froh werden.
Da dies mein Glaube ist,
Herrin Minne,
macht auch mich froh.
Doch schon bald sah es Walther von der Vogelweide gar nicht ein, sich nur für die ewige Entsagung einzusetzen. Trotzig begann er die erfüllte, erwiderte Liebe zu loben:
Denn Minne ist doch Minne sofern sie wohl tut!
Tut sie weh, heißt sie nicht rechtens Minne.
Und ich weiß nicht, wie sie dann heißen soll.
Minne ist das Glück zweier Herzen:
tragen sie zu gleichen Teilen, dann ist Minne da.
Zwischen 1198 und 1210 dichtete Walther seine berühmten Mädchenlieder, in denen er die einfachen Frauen, das »herzeliebe frowelîn«, besang.
Unter der Linde
auf der Heide,
wo unser beider Lager war,
da kann man sehn
liebevoll gebrochen
Blumen und Gras.
So war Walther von der Vogelweide Teil seiner Zeit und gleichzeitig ihr Propagandist, er schuf aber auch Überzeitliches: Dichtung halt.
Dichtung ist, wenn sie gut ist, ewig gültig. So gültig wie Walthers »Elegie«, die kurz vor seinem Tod entstand. Es ist eine Sicht auf das Leben, die jeder moderne Mensch wird nachvollziehen können:
Oh weh, wohin entschwanden alle meine Jahre!
War mein Leben ein Traum, oder ist es Wirklichkeit?
Was ich immer glaubte, es sei – war all das etwas?
DES MENSCHEN ELSTERNFARBE
Darf ein Ritter sich hemmungslos verlieben? Sind Krieger Mörder? Im gewaltigen Panorama seiner Versromane stellte der Dichter Wolfram von Eschenbach sehr aktuelle Fragen.
Von Johannes Saltzwedel
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