Die Staufer und ihre Zeit
Frauen«.
Walther von der Vogelweide
(Codex Manesse, nach 1300)
Doch so nahe und leicht verständlich Walthers Verse heute wirken – man darf sie nicht eins zu eins nehmen. Die Beschäftigung mit dem Mittelalter ist für die Heutigen immer Denksport, und das gilt auch für Walthers Verse. Die Worte, die der Dichter gebrauchte und die den Lesern jetzt so vertraut vorkommen mögen, hatten damals eine andere Bedeutung: Die »frouwe« ist nicht einfach »Frau«, sondern die angebetete, unerreichbare Herrin, »êre« ist nicht gleich »Ehre«, sondern meint das Ansehen eines Menschen vor der Welt. Wenn Walther den staufischen König Philipp »junger süezer man« nennt, so deutet das nicht auf homophile Neigungen hin, sondern man darf davon ausgehen, dass der Dichter nichts anderes tat, als seines Amtes zu walten und ebenjenen Philipp als gottgewollten Herrscher und gottwohlgefälligen Mann zu rühmen.
Sowieso ist das heutige Weltbild in kaum einer Weise auf das Mittelalter zu übertragen: Sich eine Welt ohne Gott vorzustellen ist für die Menschen in der Stauferzeit zum Beispiel völlig absurd. Nachdenken über das Mittelalter funktioniert also nur im Subtraktions- und Additionsverfahren: erst mal vergessen, wie man heute über die Dinge denkt, die fremde Sicht einnehmen und daran dann erkennen, was an dem Fremden doch vertraut ist.
In Walther von der Vogelweides Versen lässt sich alles finden: das Fremde und das, was plötzlich modern wirkt. Und all jenes, was ist und immer bleiben wird, weil das Menschsein jenseits aller Zeiten nun mal ist, wie es ist: die Liebe, der Kampf um die Macht und die Lust darauf, die Not, die Sorge um die eigene Existenz, der Geiz, der Ehrgeiz, die Freigebigkeit.
Man weiß nicht, wo Walther geboren wurde, und das wenige, das man überhaupt von ihm weiß, lässt sich im Wesentlichen über seine Dichtung erfahren. Wobei sich
auch bei Walther – wie bei allen seinen Dichter-Nachfahren – natürlich nicht einfach so vom »Ich« der Dichtung, dem lyrischen Ich, auf das Ich der Wirklichkeit schließen lässt. Dass er tatsächlich gelebt hat, das bezeugt nur eine einzige Urkunde: Ein Bischof ließ in seinen Rechnungsnotizen festhalten, dass er Walther fünf Schillinge für einen Pelzmantel zukommen ließ.
So kann man also nur schlussfolgern, dass der Spruch »ze Ôsterrîche lernt ich singen unde sagen« darauf hindeutet, dass Walther am Ende des 12. Jahrhunderts als junger Mann am Hof des Babenbergers Friedrich I., Herzog von Österreich, diente und dort die Dichtkunst erlernte. Er zog dann quer durch Europa von Hof zu Hof, von Engagement zu Engagement, vom Landgrafen zum Herzog, zu König und Kaiser. Wenn es ihm irgendwo nicht gefiel, dann hielt er das in seinen Versen durchaus fest, zum Beispiel lästerte er über die Sitten am Thüringer Hof, die lärmenden und zechenden Ritter dort.
In den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts diente er wohl am Hof des Thronkandidaten Philipp von Schwaben, machte ordentlich Werbung für den Staufer und damit natürlich gegen den welfischen Herausforderer Otto von Braunschweig. Denn das war seine Aufgabe als Dichter: ein Propagandist für den jeweiligen Herrscher zu sein. Ein wenig scheint es geholfen zu haben. Philipp von Schwaben wurde 1198 zum König gekrönt (Otto allerdings auch, zum Gegenkönig). Walther erging sich dann auch in Lobpreisungen über den Kirchenbesuch Philipps zum Weihnachtsfest im darauffolgenden Jahr.
Doch dass er den Staufer so pries, hatte so viel nicht zu bedeuten, jedenfalls äußerte sich darin keine prinzipielle Bindung an das staufische Herrschergeschlecht. Als Philipp 1208 ermordet wurde, schwenkte Walther zu Otto IV. über, der 1209 vom Papst die Kaiserkrone aufgesetzt bekam.
Doch der welfische Herrscher wurde von Walther des Geizes geziehen, womöglich Grund genug, zum nächsten Staufer zurückzuwechseln, zu Friedrich II. Um dessen Gunst buhlte er, um endlich ein Lehen zu bekommen, einen eigenen Besitz – mit Erfolg. »Ich hân mîn lehen!«, jubelte er gleich in einem Lied.
Hört es, ihr Leute alle, ich hab mein Lehen!
Nun fürchte ich nicht mehr den Februarfrost an den Zehen und will in Zukunft die geizigen Herren nicht mehr anbetteln.
Nun musste sich Walther nicht länger als fahrender Sänger verdingen, sondern er hatte eine Heimat, wohl in oder um Würzburg, wo er – vermutlich – auch begraben liegt.
Dass Walther von der Vogelweide überhaupt das wurde, was er war, ein Dichter, hatte er seiner Zeit zu
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