Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
sich folgendermaßen zusammenfassen: Um wirksam zu sein, konstruiere ich eine ideale Modellform, für die ich einen Plan mache und der ich ein Ziel setze; dann mache ich mich daran, in Abhängigkeit von diesem Ziel zu handeln. Zuerst wird ein Modell erstellt, dann muss dieses Modell umgesetzt werden.“ DemIdealbilddes Feldherren folgend, der von seinem Hügel aus planvoll die großen strategischen Linien vorgibt, setzen auch Manager und Politiker ihre Vernunft und ihre Willensstärke ein, um ihren Plan gegen alle Widerständedurchzusetzen. „Umsetzung“ meint immer auch das Bezwingen der widerspenstigen Wirklichkeit – und scheitert entsprechend oft an den Umständen.
Das chinesische Strategiedenken gehe dagegen von ganz anderen Begriffen und Konzepten aus: dem „Xing“, was so viel bedeutet wie Situation, Konfiguration oder Terrain; und dem „Shi“, was so viel meint wie das Potenzial der Situation. Ein fernöstlicher Stratege „wird also von der Situation ausgehen, und zwar nicht von der Situation, die ich zuvor modelliert habe, sondern vielmehr von der vorliegenden Situation, in der ich mich befinde und innerhalb derer ich versuche auszumachen, wo sich das Potenzial befindet und wie ich es ausnutzen kann“. Die Wirksamkeit entfaltet sich viel subtiler und kräfteschonender, nicht mit der Brechstange, sondern mittels kleinerAnstöße – englisch: „nudges“ –, die die in einer Situation und in den Beteiligten steckende Eigenenergie freisetzen.
Es geht, mit anderen Worten, darum zu erkennen, wann Situationen „Spitze auf Knopf stehen“, darum, die Bifurkationslinien zu finden, von denen aus ein System in einen neuen Gleichgewichtszustand kippen kann – und es dann sachte anzustupsen. Robert Thaler und Cass Sunstein haben aus der Idee derminimalen Impulsein ihrem Buch Nudge das neue politische Paradigma des liberalen Paternalismus entwickelt, der Menschen mit geringfügigen Schubsern dazu bringt zu wollen, was sie sollen. Im Original, bei Sun Tsu, dem ältesten Ratgeber zur Kunst des Krieges , liest es sich so: „Der kluge Kämpfer achtet auf das Zusammenspiel der Kräfte und verlangt nicht zu viel von jedem Mann, seinen Fähigkeiten entsprechend. Von Unfähigen verlangt er keine Perfektion, Fähigen gibt er Verantwortung. Wenn er so sämtliche Energien kombiniert, wirken seine kämpfenden Männer wie rollende Baumstämme oder Felsen.“
Folgt man diesen Hinweisen, dann verändert sich dadurch die Job-Beschreibung der Führungsperson mit Strategiekompetenz: weg von am Reißbrett oder in Powerpoint-Charts entworfenen, papierraschelnden Fünfjahresplänen undderenUmsetzung mit aller Macht. Statt dessen hinaus ins Feld! Das Terrain sondieren und die herrschenden Klimabedingungen studieren, um den richtigen Ansatzpunkt zu finden! Das Gras wachsen hören und wie ein Golfer, der vor seinem Put das Grün „liest“, das Gefälle im Gelände ausnutzen!
Das Potenzial einer Situation ist hier durchaus physikalisch zu begreifen: als Lageenergie. Hat man die Situation richtig interpretiert und die herrschenden Kräfteverhältnisse akkurat eingeschätzt, braucht es nur noch einen minimalen Impuls, um den Stein ins Rollen zu bringen. Der Rest passiert dann von allein. Noch einmal Sun Tsu: „Denn es ist die Natur eines Baumstammes oder Felsblocks, reglos auf ebenem Grund zu liegen. Er wird nur rollen, wenn er an einen Abhang gerät. Wenn er kantig ist, bleibt er wiederum liegen, doch wenn er rund ist, rollt er hinab. So ist also die Energie von Kämpfern, die von einer guten Hand im Kampf geführt werden, wie die Energie eines runden Felsblocks, der einen tausend Fuß großen Berg hinunterrollt – das ist Kraft.“
Wu wei
Wo wir uns gerade in Ostasien aufhalten: Was wir aus dem Ideenpool des Zen für unsere Überlegungen zur Stein-Strategie gut gebrauchen können, sind das Primat der Praxis, die Konzentration auf alltägliche Verrichtungen, sowie das Ziel, Gelassenheit und innere Ausgeglichenheit zu erlangen. Im Taoismus, aus dem der Zen-Buddhismus hervorgegangen ist und aus dessen Repertoire er sichbedient, ist das wichtigste Konzept und eine der erstrebenswertesten Tugenden das „Wu wei“, was so viel bedeutet wie Nicht-Handeln, eher noch: Handeln durch Nicht-Handeln.
Dringt man tiefer in die Gedankenwelt des Taoismus ein, dann bedeutet „Wu wei“ – alle Müßiggänger, Slacker und Prokrastinierer müssen jetzttapfer sein! – nicht Stillstand und Stagnation, Abschalten und
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