Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
sind als Beschäftigungsmaßnahmen, und verabreicht Medikamente, die nicht mehr sind als Placebos. Bis heute basieren große Teile des aufgeblähten Gesundheitssystems auf diesem Prinzip.
Wobei Placebo-Therapien immer noch den Vorzug haben, über die Psyche Wirksamkeit entfalten und einen Heilungsfortschritt bewirken zu können. Der Placeboeffekt, der in medizinischen Studien immer wieder belegt wird, scheint nach der Methode „Viel hilft viel“ zu funktionieren: Größere Tabletten haben eine stärkere Wirkung als kleine, Infusionen eine stärkere als Tabletten und Operationen wirken stärker als Infusionen. Das ist gewissermaßen die produktive Seite des Action bias als psychosoziale (Auto-)Suggestion, als aktionistisches „double bind“ zwischen Arzt und Patient.
Zerhackte Zeit
Schwerer wiegt, wenn Aktionismus zu Pseudolösungen für gravierende Probleme führt und Fehlentscheidungen nach sich zieht. Mehr noch als in der Medizin gilt das Ut-aliquid-fiat -Prinzip in der Politik. Von gewählten und amtierenden Volksvertretern erwartet man, dass sie Initiativen ergreifen, Reformen voranbringen und darüber Rechenschaft ablegen. Aber das politisch-mediale System setzt Anreize für einen hypertrophen Aktionismus, der plakative Schnellschüsse und symbolische Aktionen an die Stelle von „good governance“ treten lässt. Was hat man Gerhard Schröder geprügelt, als er es zum Ende seiner ersten Kanzlerschaftsperiode 2001 wagte, seine Wirtschaftspolitik unter das Motto „Politik der ruhigen Hand“ zu stellen?! Kurzerhand machte die Opposition eine „Politik der faulen Hand“ daraus. Dabei antwortete die Ankündigung nur auf die triftige Analyse, dass seine Regierung nach Amtsantritt zu viele Reformprojekte zu schnell und zu wenig gründlichangestoßen hatte. Nach einer Bedenkzeit vonzwei Jahren wurde die ruhige Hand abgelöst durch die vollmundigere und zupackendere „Agenda 2010“. Abwarten und Innehalten – das ultimative „no-go“ in einer hochgetakteten und auf schnelle Effekte gepolten politischenLandschaft.
In einem bemerkenswerten Spiegel -Artikel aus dem Januar 2011 beschreiben Markus Feldenkirchen und Dirk Kurbjuweit unter dem Titel „Die zerhackte Zeit“ einmal grundsätzlich das Klima, in dem Regierungspolitik heute stattfindet, als medial und informationstechnologisch hochgezüchtete Todeszone, in der die Luft so dünn geworden ist, dass Kurzatmigkeit die unweigerliche Folge ist: „Das Leben hat sich beschleunigt, hat sich verdichtet. Mehr Ereignisse denn je verlangen nach Aufmerksamkeit, jede Stunde, jeden Tag, jede Woche. Dafür gibt es im Bereich der Politik drei Gründe: Es geht um neue Kommunikationstechnologien wie Internet und Handy. Es geht um eine verschärfte Globalisierung bei gleichzeitiger Hysterisierung der nationalen Politik. Es geht um einengewachsenen Reformbedarf. Das alles zerhackt die Zeit und frisst die Energien der Politiker.“ Einmal abgesehen von der Frage, ob der „Reformbedarf“ wirklich gewachsen ist, legt der Text den Finger in die richtige Wunde.
Hans-Jochen Vogel kommt darin zu Wort, der sich erinnert, wie sie seinerzeit unter Helmut Schmidt regiert hätten, nur mit Fernschreiber und Festnetztelefon ausgestattet. Und dass Entschlüsse wie bei der Euro-Rettung, die heute innerhalb von Stunden gefällt werden, damals „ein Prozess von Monaten, vielleicht Jahren gewesen“ seien.Der Hirnforscher Gerhard Roth wird zitiert, Entscheidungen unter Zeitdruck, die nicht Routineentscheidungen seien, gingen „fast immer in die Hose“, „ein Politiker, der in dichter Abfolge oder zeitgleich mit immer neuen Anliegen, Gesprächen, Nachrichten oder Informationen konfrontiert werde, könne kein guter Politiker sein.“ Und: „Auch die Gleichzeitigkeit von kleineren Problemen, eine gewisse Grundnervosität also, könne Menschen in Panik versetzen und das Ausschütten von Noradrenalin im Hirn bewirken, jenem Stoff, der das Denken ausschaltet.“
DieTechnik macht es möglich; der hochgetaktete mediale Feedback loop macht es nötig. Und täglich wird eine neue Sau durchs politische Dorf getrieben. Der Action bias in der Politikläuft auf ein ritualisiertes Hase-und-Igel-Spiel zwischen Regierung und Opposition hinaus, bei dem am Ende alle hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben.
Bullshit Bingo
Schlechte Voraussetzungen also für das Gelingen von Politik. Ähnlich verfahren sieht es in der Wirtschaft aus, wo Arbeitskraft und volkswirtschaftliche Ressourcen von
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