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Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)

Titel: Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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sinn- und besinnungslosen Aktivitäten absorbiert werden. Ganz analog konstatiert Niklas Luhmann in einem hellsichtigen Aufsatz von 1971 eine Zerhackung der Zeit durch die Reporting-Strukturen in hierarchischen Großorganisationen – und damals gab es weder Email noch SMS: „Im Zeitalter großer Organisationen ist Zeit knapp geworden. Zeitdruck ist eine verbreitete Erscheinung. Der Blick auf die Uhr und der Griff zum Terminkalender in der Tasche sind Routinebewegungen geworden. Die Verabredungsschwierigkeiten treiben die Telefonkosten in die Höhe. Schlichte rote Mappen (mit längst nicht mehr eiligem Inhalt), Eilt-Mappen, Eilt-sehr-Mappen bevölkern den Schreibtisch und seine Umgebung. Einige drängen sich durch ihre Lage mitten auf dem Schreibtisch und durch einen besonderen Zettel ‚Terminsache!‘ vorim Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Die Orientierung an Fristen und fristbedingten Vordringlichkeiten bestimmt den Rhythmusder Arbeit und die Wahl ihrer Thematik.“
    Als ehemaliger Verwaltungsbeamter weiß Luhmann, wovon er redet. Der Aufsatz trägt den schönen, zeitlos ragenden Titel: „Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten.“ Bei dem Allermeisten, was als Befristetes mit Blaulicht auf dem Standstreifen heranrauscht, handelt es sich um Vorgänge, nach denen schon bald kein Hahn mehr kräht, die nur innerhalb der Binnenlogik der Organisation eine zweckrationale Relevanz besitzen und deshalb auf Vordringlichkeit pochen können.
    Es handelt sich mit anderen Worten um Bullshit. Bullshit nicht als undifferenziert despektierliche Schmähung, sondern angelehnt an die präzise philosophische Beschreibung von Harry G. Frankfurt als drittes Ding zwischen Lüge und Wahrheit, das allein einer opportunistischen Logik gehorcht undsich epidemisch in Organisationen und in der Gesellschaftverbreitet.„Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, dass es viel Bullshit gibt“, schreibt Frankfurt zum Auftakt seines jüngst berühmt gewordenen Essays On Bullshit , der ursprünglich aus dem Jahre 1985 stammt. „Jeder kennt Bullshit. Und jeder trägt sein Scherflein dazu bei.“ Politiker wissen, dass ein Großteil der Dinge, die sie verkünden und mit denen sie ihre Zeit verbringen, Bullshit ist. Angestellte wissen das auch. Sie tun es trotzdem.
    Der britische Historiker und Soziologe Cyril Northcote Parkinson, der nichts mit der gleichnamigen Krankheit zu tun hat, hatte bereits Mitte des letzten Jahrhunderts amüsiert beobachtet, wie Bürokratien mit wachsender Größe dazu tendieren, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Sie wachsen – Parkinson veranschlagt die Inflationsrate auf durchschnittlich 5 Prozent –, ohne dass die zu bewältigenden Aufgaben mitwachsen würden. Daraufhin formulierte er das Parkinson’sche Gesetz, das in Reinform lautet: „Jede Arbeit dehnt sich so lange aus, bis sie die dafür vorgesehene Zeit vollständig ausfüllt.“ Gerade bei Schreibtischarbeit bestehe bekanntlich ein sehr elastisches Verhältnis zwischen der Zahl der Personen, die sie erledigten, und den handfesten Resultaten. Faktoren, die die Ausdehnung der Arbeit und das Wachstum der Bürokratie beförderten, seien a), dass jeder Funktionsträger danach strebe, die Zahl seiner Untergebenen zu vergrößern, und b), dass Funktionsträger sich gegenseitig mit Arbeit versorgten.
    Es gibt tausend Gründe und Motive dafür, Arbeit aus dem Nichts zu erschaffen: Budgetposten wollen verteidigt, die eigene Position soll abgesichert werden. Vorgesetzte, Aktionäre oder die Öffentlichkeit wollen besänftigt, Untätigkeit soll bemäntelt werden. Damit etwas geschieht, werden Maßnahmen ergriffen und Arbeitsaufträge verteilt. Gegenüber der eigentlich zu erledigenden Arbeit besitzen diese Aktivitäten meist kurzfristig höheres Gewicht und Priorität – „Prio eins“! Auch wenn diese Formen von Bullshit-Tätigkeiten Arbeit genannt und genau so, wenn nicht besser, bezahlt werden, sind sie doch das Gegenteil. Die produktive Arbeit hat Mühe, sich gegen ihren missratenen Zwilling zu behaupten. Wie grauer Schleim verstopft der „zeitkritisch“ genannte Überaufwand die Poren unseres Arbeitstages und hält uns davon ab, weniger, aber dafür Richtiges und Wichtiges zu tun. Der Stein-Strategie zu folgen heißt auch, dem Bullshit zu entsagen, ihn anderen zu überlassen und das eigene Pulver trocken zu halten für bessere Zwecke, sinnvollere Aufgaben und passende Gelegenheiten.
    Kurt von

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