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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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hatte. Oder der Verleih sollte einen französischen Anstrich bekommen: Bei seiner Gründung – in den sechziger Jahren oder früher – kannte alle Welt noch Jules Verne, und das Französische genoss hohes Ansehen, nicht wie heute, bei diesem Louis de Funès ohne Glatze als Präsidenten. Ich erfuhr, dass die Devernes außerdem einige Premierenkinos im Zentrum besaßen, das Unternehmen sich jedoch vermutlich, je mehr von ihnen eingingen und in Einkaufsflächen umgewandelt wurden, diversifiziert hatte und sich nun vor allem dem Immobiliengeschäft widmete, nicht nur in der Hauptstadt, sondern weltweit. Miguel Desvern musste also reicher sein, als ich angenommen hatte. Das machte es noch unbegreiflicher, dass er fast jeden Morgen in einem Café frühstückte, das auch für mich erschwinglich war. Der Vorfall hatte sich an dem Tag ereignet, an dem ich ihn zum letzten Mal dort gesehen hatte, und deshalb wusste ich, dass seine Frau und ich uns zur gleichen Zeit von ihm verabschiedet hatten, sie mit den Lippen, ich nur mit den Augen. Es war – grausame Ironie des Schicksals – sein Geburtstag gewesen, so dass er ein Jahr älter als am Vortag gestorben war, mit fünfzig.
    Die Presseberichte gingen in einigen Details auseinander (wohl je nachdem, mit welchen Anwohnern oder Passanten die jeweiligen Reporter gesprochen hatten), stimmten jedoch im Großen und Ganzen überein. Deverne hatte offensichtlich seinen Wagen wie üblich in einer Seitenstraße des Paseo de la Castellana geparkt, gegen zwei Uhr nachmittags – bestimmt wollte er sich mit Luisa zum Mittagessen in einem Restaurant treffen –, nicht weit von seiner Wohnung entfernt und noch näher an einem kleinen Parkplatz, der zur Technischen Hochschule für Industrieingenieure gehörte. Beim Aussteigen hatte ihn ein Penner angepöbelt, der dort für ein Almosen der Autofahrer als Parkeinweiser arbeitete – was man gemeinhin als
Gorrilla
, einen Schirmmützler, bezeichnet – und der mit wirrem Geschrei und unsinnigen Anklagen über ihn hergefallen war. Nach Zeugenaussagen – auch wenn niemand besonders viel verstanden hatte – beschuldigte er ihn, seine Töchter in einen ausländischen Prostitutionsring gesteckt zu haben. Nach den Worten anderer hatte er ihm eine Reihe konfuser Sätze an den Kopf geworfen, von denen sie nur zwei behalten hatten: »Du willst mir mein Erbe stehlen!« und »Du nimmst mir das Brot meiner Kinder!« Desvern versuchte einen Moment lang, ihn abzuschütteln und zur Vernunft zu bringen, sagte, er habe nichts mit seinen Töchtern zu tun, kenne sie nicht einmal, er verwechsele ihn. Aber der Penner, Luis Felipe Vázquez Canella, der Zeitung nach neununddreißig Jahre alt, buschiger Bart und sehr groß, war daraufhin noch wilder geworden und hatte ihm weiterhin wüste Beschimpfungen und Flüche an den Kopf geworfen. Der Pförtner eines der umliegenden Häuser hatte ihn völlig außer sich kreischen hören: »Dass du heut verreckst und deine Frau dich morgen vergisst!« Eine Zeitung veröffentlichte eine noch schärfere Version: »Dass du heut verreckst und deine Frau morgen einen andern hat!« Deverne hatte sich mit einer Geste der Ohnmacht in Richtung Castellana gewandt und jeden Versuch aufgegeben, ihn zu beruhigen, aber da hatte der Schirmmützler, anscheinend entschlossen, die Erfüllung seines Fluchs nicht abzuwarten, sondern selbst zu seinem Vollstrecker zu werden, ein Messer gezogen, ein Butterflymesser mit einer sieben Zentimeter langen Klinge, hatte sich von hinten auf ihn gestürzt und wiederholt auf ihn eingestochen, in den Brustkorb und die Seite, laut einer Zeitung, in Rücken und Unterleib, laut einer anderen, in Rücken, Brustkorb und eine Rippenseite, laut einer dritten. Sie einigten sich auch nicht auf die Anzahl der Stiche, die der Unternehmer erhalten hatte: neun, zehn, sechzehn, auf diese letzte Ziffer – vielleicht die verlässlichste, denn der Verfasser zitierte »Ergebnisse der Autopsie« – folgte die Erläuterung, dass »alle Stiche lebenswichtige Organe trafen« und »fünf von ihnen nach Aussagen des Gerichtsmediziners tödlich waren«.
    Desvern hatte im ersten Augenblick versucht, sich loszureißen und zu fliehen, aber die Messerhiebe fielen so wild, so roh, so dicht – und trafen offenbar so genau –, dass ein Entkommen nicht möglich war und er bald schon zusammenbrach und zu Boden ging. Erst da hatte sein Mörder innegehalten. Der Wachmann einer Firma in der Nähe »bemerkte, was geschehen war,

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