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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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wie ausgestorben – keine Menschen, kein Verkehr. Im Morgengrauen stößt sie neben einem unbenutzten Eingang auf einen Berg von Müll. Sie entdeckt einen großen Karton mit ein paar trockenen Zeitungen und kriecht hinein.
    Später kommen drei Halbwüchsige vorbei. Sie haben ihren Spaß an dem hustenden Karton, kicken ihn durch die Gegend, übergießen ihn schließlich mit ein wenig Benzin und zünden ihn an.
    Todespein läßt sie aufspringen. Sie torkelt aus der brennenden Ruine des Kartons. Und in den letzten Sekunden, ehe ihre Augäpfel verglühen, starrt sie, ohne etwas zu erkennen, das schwere Portal an, das die Enklave gegen die Außenwelt abriegelt. Und über dem Portal steht die Zahl 47. Sonst nichts.
     
     
    Originaltitel: >Backward, Turn Backward<
Copyright © 1988 by the Estate of Alice B. Sheldon
Erstmals veröffentlicht in: >Synergy< # 2,
hrsg. von George Zebrowski (Hartcourt Brace Jovanovich, Inc., 1988)
Copyright © 1992 der deutschen Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Birgit Reß-Bohusch

Schlangengleich erneuert die Erde sich
(The Erath Doth Like A Snake Renew)
     
     
    Rückblickend – sofern Tote zurückblicken können – ist schwer dahinterzukommen, was P. veranlaßte zu glauben, die Erde sei männlich.
    Unser erster Eindruck von ihr ist der eines eigenbrötlerischen Kindes, das die Angewohnheit hatte, sich im Wald auszuziehen. Der Wald war Besitz ihrer Familie, und gleich bei ihrem ersten Sommeraufenthalt dort hatte P. begriffen, daß dieser tiefe Forst ein Zauberwald war, was soviel bedeutete, daß er wirklich war. Die Stadt, das wußte sie, war nicht wirklich. Zu viele unterirdische Röhren und Kabel – vielleicht; aber gewiß zu viele Menschen. Für P. zählten die in der Stadt verbrachten Winter einfach nicht.
    Was zählte, waren die Monate, während derer sie allein durch den verwunschenen, uralten Wald streifte und sich nackt auf die modrige Erde, auf Wurzeln, Steine und verschiedene Moose legte, in stiller Vereinigung mit einem eindringlichen Etwas, das sie ohne den geringsten Zweifel als männlich erkannte.
    Woran erkannte dieses kleine Mädchen etwas als männlich? Nun, sie wußte, daß es anders war als bei ihrem Vater. O ja! Sie spürte ... sie spürte die Berührung mit einer gewaltigen Versteifung, auf die sie in ganz und gar unkindlicher Weise reagierte und hinter der eine undeutliche, zaghaft, doch kraftvoll auf sie gerichtete Absicht stand.
    Wenn sie ihrer Familie etwas davon erzählt hätte, dann hätte ihr gelehrter Onkel es als Phantasterei abgetan – es beispielsweise erklärt als Mythos des Antäus oder des Atlas, mit denen er sie vertraut gemacht hatte. Ihr dicker Onkel und ihr genialer Onkel hätten es auf die Tätigkeit ihrer kindlichen Drüsen zurückgeführt. Die Erde – männlich? Ihre schöne Mutter hätte wie eine Nachtigall tiriliert; sie besaß einige Ur-Talente und wußte, daß die Erde eine Kugel aus Felsgestein war, auf der a) Menschenaffen und b) die englische Literatur beheimatet waren.
    Nur P.'s Vater hätte möglicherweise kurz von seiner Arbeit, mit der er die ganze verschrobene Familie über Wasser hielt, aufgeblickt und gefragt: »Hm?« Er war ein dürrer Pikte mit lavendelblauen Augen, die sich noch an die Massaker der Wikinger erinnerten. Tatsächlich war er bis zu einem gewissen Grad schuld an P.'s Problem.
    Eines Tages, als sie zehn war, forderte er P. unter einem prustenden Lachanfall auf, sich die prachtvollen Exemplare des Mutinus caninus, des sogenannten Hundspimmels also, hinter der Garage anzusehen. Er führte sie an einen von Farnkraut überwucherten Ort, den P. im allgemeinen mied, da sie wußte, daß er als inoffizielles Männerpissoir diente.
    Ihr Vater deutete auf eine bestimmte Stelle; P. starrte gebannt hin. Aus der Moosfläche vor ihr ragten zwanzig nackte Hundepenisse in prunkendem Rosa hoch. Sie waren sehr lebensecht, der kleinste hätte einem Yorkshire-Terrier gehören können, der größte einem Dalmatiner. Jede der rosigen Eicheln hatte eine Haube aus ockerfarbigem Schleim als wirkungsvolles Lockmittel für Schmeißfliegen.
    »Sie wachsen jedes Jahr wieder.« Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Ganz schön scheußlich, was? Es ist eine Pilzart. Deiner Mutter habe ich nie etwas davon gesagt.«
    P. schwieg angesichts dieser Erscheinung, die das uralte Erdreich hervorgebracht hatte. Von diesem Tag an war der Erdboden für sie eindeutig ein ER.
    P. war bereits überraschend gut

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