Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
langsam nach vorne.
GITARRE IM KOPF
D ie Band fängt gerade an. Eine klein gewachsene Sängerin mit einer riesigen Gitarre, die sich auf die Zehenspitzen stellen muss, um ans Mikro heranzukommen. Und zwei Jungs. Alle drei kommen ihm lächerlich vor. Seine studentische Band muss aber ähnlich chaotisch gewesen sein, denkt Wayne.
Er kommt näher. Ganz nach vorne. Er spürt, dass er betrunken ist. In seinen Ohren saust es unerträglich. Vielleicht hätte er die Kleine nach einer Tablette fragen sollen. Aber sie ist ihm irgendwie verloren gegangen. Oder ist er ihr verloren gegangen?
Er drängelt sich durch die Menge direkt vors Podium, rempelt Leute an. Er entschuldigt sich, aber keiner will ihn wahrnehmen. Wayne hat das Gefühl zu schweben, als würden ihn die umherstehenden Menschen nach vorne schieben, als wären sie Meereswellen, die mit einem verlorenen kleinen Boot spielten. Die Band legt los. Die Gitarre schneidet Wayne scharf in die Ohren, ein schriller Akkord nach dem anderen bohrt sich in seinen schmerzenden Kopf. Die Sängerin ist aber nicht schlecht. Sie gefällt ihm. Was für einen Slip sie wohl anhat? Oder trägt sie keinen? Wie treibt sie es am liebsten? Ob sie einen festen Freund hat?
Er beobachtet die dünne Sängerin mit der Tätowierung auf dem Oberarm, die in einer engen schwarzen Hose steckt. In seinen Ohren dröhnt es nicht mehr. Es pfeift. Wayne will das Pfeifen vertreiben. Er fängt an zu tanzen. Herumzuhüpfen. Mit den Armen zu fuchteln. Stößt aus Versehen gegen seinen Nachbarn. Der Typ schlägt zurück. Einen Moment später prügeln sie sich schon.
I’M LOST IN NO-MAN’S-LAND
H ana und Milena steuern die Toilette an. Woran es bloß liegen mag, dass die tschechischen Frauen grundsätzlich zu zweit aufs Klo gehen? Haben sie Angst, alleine zu gehen? Oder ist die Toilette der einzige Ort, wo Frauen unter sich bleiben, von keinem angestarrt werden und laut über Männer reden können?
Kann gut sein.
Auf jeden Fall hat Hana nie Männer gemeinsam auf die Toilette gehen sehen. Frauen in Berlin, Paris oder Lissabon auch nicht. Was aber auch daran liegen könnte, dass Hana dort meist alleine unterwegs ist.
Aus dem Saal schwappt ihnen eine stickige Hitze entgegen. Sie bleiben direkt an der Tür stehen.
Hana kann Wayne nirgendwo entdecken. Das ist nicht weiter schlimm, denkt sie. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, wie sie es ihm sagen soll. Sie will sich trennen, das steht fest. Und wenn sie es heute nicht schafft, dann macht sie es nie. Vielleicht ist er noch an der Bar. Sie ist froh, nicht neben ihm stehen zu müssen. Nicht seine Hand halten zu müssen. Es ist vorbei.
»Wir sind Kill the Barbie …«
Einen blöderen Namen hat sie lange nicht gehört. Aber die Musik klingt gar nicht übel. Die Gitarre ist zwar ziemlich übersteuert, aber Hana ist ja inzwischen auch ein paar Jahre älter geworden. Früher, als Milena und sie häufiger hier zugegen waren, klang die Gitarre bestimmt genauso laut.
Hana geht nach vorne. Winkt vom Mischpult Milena zu. Dann aus der Mitte des Saals. Danach kann sie Milena nicht mehr sehen.
Die kleine Punkerin mit dem tätowierten Bandnamen auf dem Oberarm schließt die Augen, klammert sich an ihre Gitarre und singt auf Zehenspitzen:
I feel like, I feel like
A little black cat
I feel like, I feel like
I’m lost in no-man’s-land
Auf einmal fühlt Hana, wie sie mit dem Text verschwimmt, als würden sich die Worte und sie überlappen. Das ist genau ihr Lebensgefühl. Verloren inmitten der Menge. Verloren in Prag. Im Leben. In ihrer Beziehung mit Wayne. In sich selbst.
Lost in the silence
Found in the noise
I see the darkness
I don’t have a choice
Die Band spielt den Schlussakkord. In die entstandene Stille schreit der Schlagzeuger: »Fuck off Bush! Fuck off USA ! Kill the Barbie!« Er schickt seinen Worten eine Trommelsalve hinterher. Ein paar Leute schreien vor Begeisterung. Die Band bereitet sich auf den nächsten Song vor.
Dann passiert es. Hana hört Wayne. Und sieht ihn.
»Fucking cocksucker!«
DAS LETZTE KONZERT
D as Hereinkommen ist kein Problem. Den Trick hat er mal in einem Film gesehen. Es geht einfach. Vladimír sagt nur: »Jahn Vladimír.« Der Kahlkopf nickt und sucht in der Gästeliste. Bevor er sich wieder umgedreht hat, ist Vladimír schon in der Menge untergetaucht.
Aus der offenen Tür hört er die Band. Er lugt in den Saal hinein. Der Raum ist noch nicht voll, er riecht Zigarettenrauch, Schweiß und Bier. Eine laute, leere und
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