Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)
stand darauf, dass die Weiber ganz heiß darauf waren, sich mit ihnen ein paar schöne Stunden an Bord zu machen. Und sie beide standen darauf, am nächsten Tag möglichst zügig die Kurve zu kratzen. Abgesehen davon, dass sie beide erstklassige Matrosen und alte Schwerenöter waren, teilten sie auch eine unerschütterliche Leidenschaft für anständigen Rum und marokkanisches Hasch.
Vor zwei Tagen waren sie in Bonifacio aufgebrochen und waren dankbar für das ruhige, angenehme Wetter. Das Boot glitt unter vollen Segeln mit einem angenehmen Tempo dahin. Emilio, der während der letzten vier Stunden bis zum Morgengrauen Wache gehabt hatte, stand unten in der Kombüse, um Kaffee für Stu zu kochen, und tanzte zu den Klängen eines Jackson-Five-Songs, der aus den Lautsprechern der topmodernen Stereoanlage drang. Er streckte den Kopf in die Kabine, wo Stu, voll bekleidet, auf dem Rücken lag und wie ein Bär schnarchte.
»Los, raus aus den Federn, Stuie-Baby«, sagte Emilio mit seinem ausgeprägten spanischen Akzent, bevor er zum Kartentisch tänzelte, um einen Blick auf die Wettervorhersage zu werfen. Er tanzte ständig, den ganzen Tag. Einmal hatte er sogar die gesamte dreiwöchige Überfahrt von den Azoren nach Barbados durchgetanzt.
Stu hievte sich aus der Koje und taumelte zur Tür hinaus. Das Haar stand ihm in sämtliche Richtungen ab, und seine blutunterlaufenen Augen blinzelten gegen das helle Sonnenlicht an. Ohne Umweg steuerte er auf den hochmodernen Kühlschrank zu und nahm eine Dose eiskaltes Bier heraus – das perfekte Frühstück, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Er riss den Verschluss der Dose auf, woraufhin ein lautes Zischen erklang, setzte sie an und trank einen großen Schluck.
»Und? Viel Verkehr?«, fragte er.
»Bloß ein paar Fangschiffe und ein Kreuzfahrtdampfer. Pero nada mas .«
Stu reckte seine Glieder und setzte sich an den Kartentisch, um mit schief gelegtem Kopf und einem verträumten Lächeln auf den Lippen der melodiösen Stimme der Dame zu lauschen, die die Wettervorhersage verlas.
»Der würde ich’s gern mal besorgen«, sagte er und stieß einen alles erschütternden Rülpser aus, dann stand er auf, fuhr sich mit einer Hand durch den Schopf und warf Emilio, der eine elegante Halbdrehung nebst jazzigem Armeinsatz aufs Parkett legte, einen Blick zu. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Frau, die mit warmer Stimme eine bevorstehende Veränderung der Windverhältnisse prognostizierte.
»Ostwinde, du beschissene Schwuchtel. Wir ändern den Kurs. Südsizilien.«
»Aye, aye, Skipper«, sagte Emilio und tänzelte von dannen.
Stu beugte sich über den Tisch, schnappte seinen roten Pullover, der vor Schmutz und Salz so verkrustet war, dass er notfalls von allein stehen bleiben würde. Er zog ihn über, zündete sich eine Kippe an, ging mit seinem Bier in der Hand ins Cockpit und ließ den Blick über das Meer schweifen. Es war ein herrlicher Morgen, doch die rot aufgehende Sonne war so grell, dass er die Augen zusammenkneifen musste. Er gähnte abermals, trank sein Bier aus, zerquetschte die Dose zwischen den Fingern und schleuderte sie über Bord. Dann programmierte er den Autopiloten auf südlichen Kurs für die nächsten rund hundert Meilen, setzte sich ans Ruder, furzte herzhaft und zog seine kleine silberne Haschbüchse heraus, während das Boot übers Wasser schoss.
Er beschäftigte sich eine Weile mit den Segeln, dann setzte er sich wieder hin und ließ etwas von dem marokkanischen Hasch über den Tabak einer Marlboro rieseln, ehe er Emilio rief.
»He, komm rauf und zieh einen mit mir durch, bevor du deinen süßen kleinen Arsch in die Koje haust, Emilio.«
Inzwischen hatte Emilio den Kaffee fertig und trug die Tassen ins Cockpit. »Schöner Tag«, bemerkte er, während die Sonne sein Gesicht rotgolden erhellte. Er schirmte mit der Hand die Augen ab und ließ den Blick übers Wasser schweifen, das lichterloh in Flammen zu stehen schien. Stu reichte ihm einen fetten Joint. Emilio nahm ihn entgegen und ging nach oben an Deck, wo er sich gegen den Mast gelehnt hinsetzte, um den Morgen in seiner vollen Pracht genießen zu können.
Sein Blick blieb an etwas hängen, das ihm Wasser trieb. Er stand auf, um nachzusehen, was es war.
»Stu?«, rief er nach unten. »Schau mal auf neun Uhr. Was ist das?« Er zeigte nach Westen.
Stu erhob sich ebenfalls und spähte hinaus, doch wegen der grellen Sonne hatte er Mühe, etwas zu erkennen. Er griff nach dem Fernglas und
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