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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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ihn und schloss sie wieder, nur um sie eine Sekunde später abrupt erneut aufzuschlagen.
    »Wir fahren ja!«, sagte sie.
    Er nickte. »Siehst du, wir stecken nicht immer in der Scheiße.«
    Sie lächelte, doch dann schien ihr ein Gedanke zu kommen. »Welcher Tag ist heute?«, flüsterte sie.
    Es war Freitag.
    »Freitag?« Besorgnis zeichnete sich auf ihrer Miene ab.
    »Ich bin nicht sicher.«
    »Doch«, sagte sie. »Heute ist Freitag.«
    »Clem.« Johnny legte den Arm um sie. »Sei nicht albern …«
    Sie drehte sich auf den Rücken. Er sah ihr ihr Unbehagen an, denn es hieß, an einem Freitag auszulaufen, bringe Unglück. In diesem Moment hob Frank im Cockpit zu einem hohen Pfeifkonzert an, als wüsste er ganz genau, was in ihr vorging, und wollte sich über sie lustig machen. Clem wandte den Kopf und starrte Johnny an. Er lächelte.
    »Das ist nicht witzig«, flüsterte sie. Es war gemein von ihm, sie auszulachen. Gerade er sollte doch wissen, wie wichtig Aberglaube war. Schließlich war sein eigener Onkel bei einem Sturm vor der Küste Cornwalls ums Leben gekommen. Er war mitten in der Nacht über Bord gegangen, und Johnnys Vater hatte zwei geschlagene Tage nach ihm gesucht. Erst nach einer Woche war seine Leiche ans Ufer gespült worden. Es stellte sich heraus, dass sie nicht nur an einem Freitag in See gestochen waren, sondern auch noch den Rumpf des Boots grün gestrichen hatten – eine weitere absolute Todsünde. Clems Liebe zum Segeln rührte vor allem daher, dass der Aberglaube bereits existierte und sie ihn nicht mehr selbst zu erfinden brauchte. Dafür hatte sie viele andere Dinge – in Wahrheit sogar die meisten – mit merkwürdigen Ritualen verknüpft: Beim Autofahren musste sie zwischen den Laternenpfählen die Luft anhalten und beim Fahrradfahren mit dem Vorderreifen wackeln, wann immer sie an einem Briefkasten oder an einem roten Bus vorbeifuhr. Es gab bestimmte Regeln, wie man ein Sandwich schmierte, das Badewasser einließ, die Vorhänge zuzog und in seine Kleider schlüpfte. Bevor sie Johnny kennengelernt hatte, war ihr nie in den Sinn gekommen, dass ihr Verhalten höchst ungewöhnlich sein könnte; für sie hatte jeder Mensch seine ureigenen Methoden, die Dinge anzugehen. Johnnys Art, seine Socken anzuziehen, war beispielsweise so umständlich, dass es jedes Mal eine halbe Ewigkeit dauerte, außerdem putzte er seine Zähne immer fünf Minuten lang, aber s ie zog ihn niemals damit auf.
    »Clem, wir sehen doch bloß zu, dass wir hier wegkommen. Im nächsten Dorf gehen wir von Bord und nehmen einen Bus nach Osten. Das ist alles. Das hier ist keine Überfahrt oder so was.«
    Sie musterte ihn einen Moment lang, dann küsste sie ihn. Sie liebte seinen nüchternen Pragmatismus, wohingegen sie, auf sich allein gestellt, dazu neigte, sich in den Details zu verlieren. Sie rückte etwas näher und küsste ihn noch einmal. Er schob ihr Kleid hoch und ließ seine Hand zwischen ihre Beine wandern.
    »Klopf, klopf.«
    Sie hoben die Köpfe. Offenbar waren sie nicht allein in der Kajüte. Am Fußende des Bettes saß das kleine Mädchen von gestern Abend. Johnny konnte sich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Sie trug eine rote Samtjacke im Piratenstil mit schmutzigen, einst weißen Manschetten, unter der sie jedoch splitternackt war, und hielt ein Plüschtier in der Hand. Das dunkle Haar stand ihr wild vom Kopf ab.
    »Hallo«, sagte Johnny. »Da sitzt ja ein Pirat auf dem Bett.«
    »Ich bin kein Pirat, sondern Captain Hook.«
    Er machte sich nicht die Mühe, ihr zu erklären, dass der Captain ein Pirat war . »Und wo ist dein Haken?«, fragte Clem.
    »Den hab ich beim Jagen im Meer verloren«, antwortete sie.
    »Was hast du denn gejagt?«, wollte Johnny wissen.
    »Seeungeheuer«, erklärte sie.
    »Ja, klar! Und hast du eines erwischt?«
    »Ich kann deinen Busen sehen«, sagte das kleine Mädchen.
    Das Kleid war Clem über die Schulter gerutscht. Sie zog es wieder hoch.
    »Und ich deinen«, gab Clem zurück.
    »Aber ich bin doch ein Mann«, erwiderte das Mädchen stirnrunzelnd. »Männerbusen funktionieren nicht.«
    »Und wer ist das da?« Clem zeigte auf den reichlich zerfransten Affen in ihrem Arm.
    »Das ist Gilla«, antwortete sie. »Er ist ein Grilla. Seeungeheuer mögen keine Grillas.«
    »Früher hatte ich auch mal so einen«, sagte Clem. Beim Anblick seines zerfledderten Gesichts musste sie wieder daran denken, mit welcher Hingabe sie ihren eigenen Plüschaffen geliebt hatte.
    »Bald hab ich

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