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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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sie den Kopf in den Nacken sinken ließ, ergoss sich ihr Haar in einer lockigen Kaskade über ihren Rücken. Sie wirkte regelrecht überirdisch, wie Gottes Skizze für ein Wesen von unnachahmlicher Schönheit. Während Otis’ klagende Stimme den Raum erfüllte, bewegte sich ihr Körper, als würde er instinktiv auf jede traurige Note reagieren, die aus seinem Mund drang. Dieser Tanz galt einzig und allein Johnny. Er sollte ihm sagen, dass sie nur ihm allein gehörte, und als er sich zurücklehnte, um ihr zuzusehen, spürte er, wie ihre Liebe ihn wie Balsam umschmeichelte, wie ein Gegengift zu den hässlichen Gefühlen, die ihn gequält hatten. Er spürte, wie seine Eifersucht verflog, mitgerissen von der Flut seiner wachsenden Begierde. Er sehnte sich mit aller Macht nach ihr. Er liebte sie mehr als jemals zuvor, liebte sie mehr, als je ein Mann eine Frau geliebt hatte.
    Manchmal war der Sex zwischen ihnen beinahe zu intensiv für ihn. Wenn er in ihr war, sie rittlings auf ihm saß, fühlte es sich an, als würde er innerlich zerbersten; als könne kein menschliches Wesen diese extremen Empfindungen überleben. Es schien schlicht unmöglich zu sein, ein anderes menschliches Wesen so sehr zu lieben, ohne dabei in tausend Teile zu zerspringen.
    »Langsam, Clem«, sagte er und umfasste die Pfirsichhälften ihres Hinterns, während sie mit einem scharfen Atemzug ihre Zähne in seine Schulter grub, in der Gewissheit, dass er es keine Sekunde länger aushielt.
    In diesem Moment sah er das Glitzern eines Auges in dem winzigen Spalt zwischen den Planken der Zwischentür, als der Mondschein darüber hinwegglitt. Johnny holte scharf Luft. Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte er, doch noch bevor er mit Gewissheit sagen konnte, was er gesehen hatte, war das Auge bereits verschwunden.

4 hart am wind

    Am zweiten Morgen war es ebenfalls bewölkt, und es herrschte eine schwache Brise. Sie frühstückten im Cockpit. Eine friedliche Stille und Einsamkeit umgab sie, sodass es unvorstellbar schien, jemals wieder eine Menschenseele zu Gesicht zu bekommen. Außer dem sanften, rhythmischen Plätschern der Wellen und dem Zirpen der Grillen auf den Hügeln gab es keinerlei Geräusche. Sie befanden sich etwa dreißig Meter vom felsigen Ufer entfernt. Annie und Frank wirkten derart entspannt, dass Johnny sich fragte, ob es nur Einbildung gewesen war, dass er und Clem gestern Abend beim Sex beobachtet worden waren. Im klaren Licht des Tages erschien ihm die Vorstellung reichlich absurd.
    Annie spähte durchs Fernglas auf die kleine Bucht. Ganz langsam schwenkte sie es hin und her, als würde sie nach etwas Bestimmtem Ausschau halten. Clem hatte eine Angelschnur über den Bug geworfen und ließ sich von Frank das Angeln beibringen. Er und Smudge waren früh aufgestanden, um ans Ufer zu rudern und nach Ködern zu suchen, und mit einer ganzen Tasse voll toter Fliegen und Käfer zurückgekehrt.
    Johnny und Smudge saßen auf dem Kabinendach und spielten Karten. Sie trug noch immer ihre Captain-Hook-Jacke, unter der sie nackt war. Johnny hatte Mühe, sich auf das Spiel zu konzentrieren. Am liebsten hätte er die Segel gesetzt. Wieder und wieder ließ er den Blick über den Horizont schweifen, um zu überprüfen, ob Wind aufkam – falls ja, käme er von Westen. Er hatte die unbrauchbare Karte noch einmal genau unter die Lupe genommen, und allmählich keimte der Verdacht in ihm auf, dass es durchaus noch ein paar Tage dauern konnte, bis sie an einem Dorf vorbeikamen. Franks Aufmerksamkeit dagegen schien eher dem Angeln als dem Segeln zu gelten. Er zeigte keinerlei Interesse daran, aus welcher Richtung der Wind kam oder wie sie am schnellsten zum nächsten Dorf gelangten. Stattdessen war er offenbar vollauf zufrieden damit, von Bucht zu Bucht zu schippern, zu angeln und am Ufer herumzudümpeln. Er schien voll und ganz in der Gegenwart, im Hier und Jetzt, zu leben. Seine und Annies Pläne für die nächsten Wochen waren vage und flexibel – die Südküste der Türkei erreichen, ehe der Sommer kam.
    Inzwischen hatte Johnny ein Spiel für Smudge erfunden – Olympia, oder Lympia, wie Smudge es nannte. Gilla, der Grilla, entpuppte sich als außerordentlich sportlich, als eine wahre Kanone in sämtlichen Disziplinen. Er hatte alle Vorrunden bewältigt und überall das Finale erreicht – im Augenblick ging es um den letzten Durchgang im Turmspringen. Er stand mit Smudges Taucherbrille und Schwimmflügeln und einer Schnur um die Arme auf der Spiere

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