Die Stimme des Feuers
sonst für mein Leibeswohl sorgen?«
Am liebsten hätte sie ihm laut erwidert: Das kann jede Bedienerin tun! Aber schnell war bei ihr der Zorn über seine Worte verraucht. Voller Begeisterung dachte sie an die Reise nach London.
»Wenn du dem König und der Königin begegnest, brauchst du wirklich neue Kleider«, sagte Graelam. Er spielte mit seinem Weinkelch. »In meiner Truhe habe ich einen Ballen golddurchwirkter Seide. Daraus kannst du dir eins nähen. Schade, daß du die Halskette weggegeben hast. Die hättest du gut dazu tragen können.«
Das freudige Licht in ihren Augen erlosch. Sie sah plötzlich aus, als hätte er sie geschlagen. Zum Teufel, dachte er wütend, sollte er sich vielleicht schuldig fühlen? Sie war es doch einzig und allein, die falsches Spiel mit ihm getrieben hatte und nicht von ihren Lügen abließ!
»Nan«, rief er. »Mehr Wein!«
Kassia saß still da. In der ersten Aufregung hatte sie ganz vergessen, wie wenig er sie leiden konnte und wie sehr er’ ihr mißtraute.
Ein paar Stunden später lag sie zusammengekuschelt im Bett. Aus dem Saal unten drang gedämpft rauhes Gelächter in ihre Träume. Dann sagte eine leise Männerstimme: »Nun will ich doch mal sehen, ob mein kleines Mädchen auch Kinder zur Welt bringen kann.« Mit einem Seufzer drehte sie sich um. Plötzlich hörte sie den Atemzug eines Mannes.
»Halt still!« sagte Graelam und nestelte am Gürtel ihres Nachthemds.
Er ist betrunken, dachte sie entsetzt und sagte flüsternd: »Bitte nicht!«
»Halt still!« wiederholte er. Er riß an ihrem Gewand. Dann fiel er über sie her, nahm ihren Kopf in beide Hände, küßte sie und schob ihr die Zunge tief in den Mund. An ihren Schenkeln spürte sie sein steifes Glied. Sie blieb regungslos liegen.
Er hob den Kopf, um ihr bei dem trüben Licht ins Gesicht zu sehen. Sie hatte die Augen fest geschlossen. »Verdammt«, sagte er leise. »Du wirst schon mitmachen!« murmelte er dann, riß sich zusammen und löste sich von ihr. Sie schlug die Augen auf.
»Du willst, daß ich dich vergewaltige«, sagte er, »damit du Grund hast, mich noch mehr zu hassen.«
»Ich hasse dich ja nicht.«
»Zieh dich aus, Kassia!«
Er macht ja doch mit mir, was er will, dachte sie. Doch dann flackerte ihr Widerstandswillen auf. »Du sagst doch dauernd, daß ich ein Kind bin und keine weiblichen Gefühle habe. Warum gibst du dich dann überhaupt mit mir ab? Geh doch zu deiner Geliebten zurück! Oder hast du es lieber, wenn du mir weh tun kannst? Dann nur zu, damit ich es hinter mir habe!«
Graelam merkte, daß er zu viel getrunken hatte. In diesem Zustand würde er keine zärtlichen Gefühle bei ihr erwecken können. Er rollte sich zur Seite und stand auf. »Sehr gut«, sagte er und griff nach seinem Umhang. Komischerweise war er ihr wegen der Zurückweisung nicht böse. »Wenn ich in der Nacht wiederkomme, brauchst du keine Angst vor mir zu haben.« Damit machte er kehrt und ging aus dem Schlafzimmer.
21
Als Kassia aus dem Küchenhaus kam, fiel ihr wieder ein, was Sir Walter zu Guy kurz vor dessen Abreise mit Blanche zu ihm gesagt hatte: »Es ist schade, daß ich keinen Vater habe, der mir bei seinem Tod einen Landbesitz hinterläßt.«
Guy hatte nur geistesabwesend geantwortet: »Ja, wirklich, das ist Pech.«
»Aber es gibt noch andere Möglichkeiten«, fuhr Sir Walter fort. »Ich werde nicht mehr lange ohne Ländereien dastehen. Ich werde mir zurückholen, was mir von Rechts wegen gehört.«
Sie blieb stehen und schaute dem Waffenschmied Drake bei der Arbeit zu. Guy fehlte ihr. Sie runzelte ihre Stirn, als sie an seine Abschiedsworte dachte. »Nun, Mylady«, hatte er gesagt und dabei leicht ihre Wange gestreift, »jetzt ist der Weg zu einem glücklichen Leben auf Wolffeton für Euch frei. Und obwohl Blanche eine Nervensäge sein kann, werde ich mit ihr glücklich werden, verlaßt Euch drauf!«
Kassia war sich dessen nicht so sicher. Blanche hatte sich von ihr nicht verabschiedet, sondern durch sie hindurchgesehen.
Jetzt hörte sie die gewaltige Stimme ihres Mannes vom Übungsplatz her. Er war in jener Nacht vor einer Woche nicht ins Zimmer zurückgekommen. Danach hatte er sie nicht mehr angerührt, wenn er neben ihr schlafen ging. Sie nahm an, daß er sich schon immer vorher sein Vergnügen bei Nan geholt hatte.
Sie begab sich in Blounts Verwalterzimmer, um wieder mal einen halbherzigen Brief an ihren Vater zu schreiben. Weil sie ihm keinen Kummer bereiten wollte, hatte sie ihm nie
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