Die Stimme des Wirbelwinds
jenseits der naturgegebenen Wahrnehmung reicht, ist bereits Teil eines globalen Netzwerkes aus Bits und Bytes, einer weltumspannenden Maschine, die den Benutzer solcher Apparate als Cyborgversion seiner selbst zu erkennen gibt. Wie würde sich sein Leben gestalten ohne Telefon, Fernsehen, Glasfaser und Mikrochip? Könnte er, dieser künstlichen Gliedmaßen beraubt, seine Stellung in einer solcherart digitalisierten Welt überhaupt noch behaupten? Will man den Kids Glauben schenken, die auf New Yorks Straßen den Hip-Hop tanzen, gefangen von Acid House-Rhythmen, deren Reiz in der Zersplitterung liegt, die sie in der längst nicht mehr als Identität verstandenen Psyche des Tänzers zum Klingen bringen, kann die Antwort nur nein lauten. Sie proben den Tanz auf dem Vulkan, die brutal offene Auseinandersetzung mit sich selbst als verlorene Identitäten, die sich nur noch über Artefakte der Pop-Kultur einen Wert zuschreiben können, der im Dasein eben eines solchen, aus einem größeren Zusammenhang gerissenen Artefaktes aufgeht. Die Nachfolgegeneration der Punks trägt Adidas-Turnschuhe und IBM-Schirmmützen und bedient sich aus den Gedächtnisspeichern der Kultur wie in einem Selbstbedienungsladen, in dem es alles gibt, nur nicht die geschlossene Identität.
Den Autoren des Cyberpunk, allen voran William Gibson, John Shirley und Bruce Sterling, ist das aus der Schule geplaudert. Für sie ist Cyberpunk, dieser Begriff, der die Wortbestandteile von ›Cyborg‹ und ›Punk‹ zu einer Einheit verschmilzt, die mehr oder minder bewußte Antwort auf eine postindustrielle Gesellschaft, in der der einzelne an seine menschlichen Grenzen gestoßen ist und sich nach Computerart aufrüsten muß, um seine neuen Glieder, seine schwindende Perspektive weiter in den Dienst der übergeordneten gesellschaftlichen Struktur zu stellen, die er längst nicht mehr integrieren kann. Das ist seine Art, sich Sicherheit zu verschaffen, noch in der Auflösung seiner selbst die ihm zugewiesene Funktion als Träger von Informationen zu erfüllen, die ebenso zusammenhanglos sind wie die Artefakte der Umwelt, aus der er sie bezog. Dabei war ursprünglich natürlich nicht die Rede von einer wie auch immer gearteten Bewegung. Der Stempel ›Cyberpunk‹, wie sollte es anders sein, ist etwas, das erst im nachhinein jenen Geschichten aufgeprägt wurde, die in ihrer Thematisierung der Zersplitterung von Identität vor dem Hintergrund einer durchgestylten Gesellschaft, in der – rein narzißtisch – nur der ›Einzelne‹ und seine Dezentriertheit zählt, gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen; Gemeinsamkeiten in der Auffassung vom menschlichen Cyborgdasein und ihrer literarischen Umsetzung. Sie waren dem Autor und Herausgeber Gardner Dozois 1981 Anlaß, unter Berufung auf mehrere Werke von John Shirley und Bruce Sterling das Auftauchen einer Art ›Punk‹-SF zu konstatieren, die später unter Verweis auf William Gibson und andere Autoren wie Pat Cadigan und Lewis Shiner immer wieder herausgestellt wurde. 1983 setzte sich für jene Autoren, die einer gemeinsamen Ästhetik folgend etwas schrieben, das man ›scharfkantiges High-Tech-Zeugs‹ nannte, schließlich der Begriff ›Cyberpunks‹ durch. Mit dem Augenblick der ›Geburt‹ dieser Strömung war ihr aber auch schon der Todesstoß versetzt.
Nimmt man Gibsons Roman Neuromancer (dt. Neuromancer, Heyne Science Fiction & Fantasy 06/4400, München 1987) als Angelpunkt der neuen Bewegung, deren Erfolg maßgeblich durch die Popularität dieses Autors bestimmt wurde, so kann es nicht verwundern, daß es neben Fortsetzungen und Parodien auch zu einem Versuch kam, die in ihm angelegte romantisierende Grundhaltung von Tech & Crime {} möglichst unbeschadet zu übernehmen, das heißt ihr zu entreißen, was sie an nackten Fakten zur Verfügung stellte. Das geschah in Reinkultur 1986, zwei Jahre nach Erscheinen von Neuromancer, als Walter Jon Williams seinen dritten Roman, Hardwired, veröffentlichte, den die Werbung im Anschluß an den immensen Erfolg von Gibsons Erstling als neuen Höhepunkt des Cyberpunk gepriesen hatte. Tatsächlich handelt es sich dabei im wesentlichen um eine Umarbeitung der bei Gibson vorgegebenen Motive in einen Country & Western-Kontext à la Mad Max. Der Autor, wohnhaft in Albuquerque, einer Stadt in New Mexico, die nicht nur als Handelszentrum für Ackerbau und Viehzucht, sondern auch als Zentrum der Atomforschung bekannt ist, mithin also die Gegensätze Erdverbundenheit und High Tech
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