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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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bei diesen Geschäften handelte.
    »Gevatter Hugh, Euer Sohn David ist ein begabter Junge, womöglich hochbegabt.«
    »Ach?« Vater kratzte sich und blinzelte.
    »Ich habe ihm alles beigebracht, was ich weiß. Er trinkt die Gelehrsamkeit auf wie ein Schwamm.«
    »Er trinkt? Wie das?«
    »Er trinkt Gelehrsamkeit, trinkt Gelehrsamkeit, Hausvater, du Guter«, half Mutter nach.
    »Ich schlage deshalb vor, ihn auf die Klosterschule in St. Matthew's zu schicken. Ich werde ihn persönlich empfehlen.«
    »Schule, kostet die nicht Geld?« knurrte Vater.
    »Das Schulgeld ist nicht hoch. Und nicht zu vergessen, Unterkunft und Verpflegung sind eingeschlossen. Also ist es noch weniger, denn zu Hause müßte er ja auch essen. Nicht alle Jungen können so gut lernen. Ihr dürft ihm seine vielversprechende Zukunft nicht verbauen.« Wenn einer ein begabter Schmeichler war, dann Hochwürden Ambrose, falls es die Umstände erforderten.
    »Bezahlen, dafür, daß wir ihn wegschicken? Die Mönche da sollten lieber mir etwas für ihn bezahlen. Ich brauche ihn hier. Es gibt allerlei Arbeit, für die ich ihn brauche.« Vater wirkte ärgerlich, während er bierumnebelt die Nasenspitze des Priesters anstarrte.
    »Denk doch nur die Ehre, Hausvater!«
    »Er eignet sich zu höherer Gelehrsamkeit, wenn das in Euren Kopf hineingeht«, sagte Hochwürden Ambrose in herablassendem Ton.
    »Gelehrsamkeit?« begehrte Vater auf. »Ich werde ihn was lehren!«
    »Nicht die Landwirtschaft, mein Sohn; ich meine die höhere Gelehrsamkeit.« Father Ambrose wurde langsam aufgebracht.
    »Höhere Gelehrsamkeit? Höhere Gelehrsamkeit?« höhnte Vater.
    »Der Vorschlag von Hochwürden Ambrose ist doch herrlich. Überlege es dir gut.« Mutter legte Vater beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
    »Hach, was verstehst denn du schon davon?« fuhr Vater Mutter zornig an.
    »Ja aber, sie ist doch – höher, ja, das ist sie, und höher ist besser.«
    »Besser als was, besser als sein alter Vater? Ich werde ihn was höher lehren! Etwa höher als ein Priester, so ein alter Eunuch, der sich am Zehnten mästet!« Hochwürden Ambrose sah wütend aus und wollte gehen. Doch ehe er den Mund aufmachen konnte, hatte Mutter ihn schon beim Ärmel gepackt und flehte ihn an:
    »O, bitte, bitte, ehrwürdiger Vater, bedenkt, was das für David bedeutet! Laßt es ihm in Euren Zorn nicht entgelten. Kommt morgen, nein, lieber schicke ich Euch meinen Mann mit seiner Antwort morgen zur Kirche. Ach, denkt doch an den Jungen und nicht an seinen Vater!«
    Das besänftigte den Priester, und er sah sie mit einem durchdringendem Blick an.
    »Morgen also«, sagte er. »Ich warte bis Komplet, doch nicht länger«, und entfernte sich gemessenen Schrittes.
    Ich mußte zum Braukessel zurück, und während ich mich wieder an die Arbeit machte, hörte ich Mutter durchs offene Fenster keifen:
    »Und ich sage dir, ich will es! Wäre Martin noch am Leben, er hätte es noch viel weiter gebracht!« Und so besuchte David in diesem Winter die Klosterschule, und Mutters ausgezeichnetes Bier zahlte dafür.

    Bruder Gregory hörte auf und seufzte. Er mußte es taktvoll anfangen.
    »Der Text da ist sehr lang«, sagte er. Stumm ließ er die düsteren, intelligenten, dunklen Augen über die sauberen Reihen der kleinen Buchstaben auf der letzten Seite wandern. Es war gutes italienisches Papier, und das Ganze machte einen gefälligen Eindruck. Doch Bruder Gregory bewunderte nicht etwa seine Arbeit. Er hoffte inständig, daß niemand seine Handschrift erkennen würde.
    »Macht Ihr Euch Sorgen wegen der Kosten? Wir haben mehr Papier, und davon haben wir auch noch mehr.« Margaret nahm einen Federkiel in die Hand und befühlte seine abgeflachte, ausgefaserte Spitze. Dann legte sie den Kopf schief und starrte das Geschriebene mit dem schlauen Blick eines Menschen an, der des Schreibens nicht kundig, aber entschlossen ist, sich nicht hinters Licht führen zu lassen.
    »Lest mir die letzte Stelle noch einmal vor, ich möchte hören, wie sie klingt«, sagte sie so bestimmt, als feilschte sie auf dem Markt um einen Ochsenschwanz.
    Bruder Gregory las mit feierlicher Stimme. Seine ernsthafte Miene mit dem leichten Anflug von Gereiztheit ließ ihn älter wirken, als er in Wirklichkeit war. Dieser Eindruck wurde noch durch das formlose, schäbige, knöchellange, graue Gewand verstärkt, das er trug und das bei Margaret die vage Vorstellung erweckt hatte, er könnte ein Franziskaner sein. An den Ellenbogen und am Gesäß war es

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