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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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klammerten die Schwestern aneinander.
    »Aber Mama, wir brauchen sie doch!« begehrten sie auf.
    »Wenn ihr sie braucht, dann küßt euch und vertragt euch.« Die Schwestern umarmten sich unlustig und verdrießlich und küßten sich auf die Wange. Die Puppe wurde von der Kiste geholt und die Kinderfrau herbeigerufen. Die letzten Worte, die der etwas entgeisterte Bruder Gregory hören mußte, kamen durch die halb geöffnete Tür zurückgeweht.
    »Wenn du unbedingt mehr mit ihr spielen willst, dann bist du aber die Kinderfrau und ich die Mama…«
    »Also«, sagte Margaret, »Ihr wolltet mir von den alten Griechen und Römern erzählen.«
    »Erlaubt mir, daß ich Euch etwas nahelege. Ob Ihr nun in dem trefflichen Stil der Alten schreibt oder nicht, Ihr werdet das Buch nie beenden, wenn Ihr Euch von derlei Banalitäten und Alltagsdingen ablenken läßt.«
    »Das habt Ihr schon einmal gesagt.«
    »Über das Geschriebene, Madame, nicht jedoch über Euer Leben«, erwiderte Bruder Gregory etwas schroff.
    »Gut, daß Ihr ehrlich seid«, sagte Margaret und bemühte sich, ihren barschen Schreibgehilfen zu besänftigen. »Aber ich schaffe es einfach nicht, mir den Alltagskram vom Leibe zu halten, und deshalb muß ich es auf diese Art versuchen, so gut es eben geht, denn ich weiß mir keine andere.« Bruder Gregory schüttelte den Kopf. Die Länge würde vermutlich sein Honorar erhöhen, doch das Ganze wurde allmählich ein viel komplizierteres Vorhaben, als er sich vorgestellt hatte.

Kapitel 2
    H offentlich ist Euch nicht entfallen, was ich über die alten Griechen und Römer gesagt habe?« fragte Bruder Gregory und blickte Margaret mißbilligend an. Ein weltlicher Mann hätte kaum etwas an dem schlichten Kleid der Frau und der Art, wie sie sich gab, auszusetzen gehabt, doch Bruder Gregory legte in dieser Hinsicht strengere Maßstäbe an als die meisten Männer.
    Verglichen mit seinem ungewöhnlich hohen Wuchs wirkte Margaret eher zu klein geraten als von mittlerer Größe. Sie war in ein Unterkleid aus schlichter, grauer Wolle ohne Zierat oder Schnürleibchen gekleidet; darüber trug sie ein Überkleid in dunklem Himmelblau mit einem Futter aus grauem Eichhörnchenfell, das nur an den Vorderkanten und am Saum mit einem einzigen Streifen Stickerei geziert war. Ein heller, schmaler Ledergürtel um ihre Taille hielt das Schlüsselbund und eine Börse; das Haar hatte sie ordentlich geflochten und neben den Ohren aufgerollt, wo es von zwei leuchtend farbigen Haarnetzen zusammengehalten wurde. Über ihren Zöpfen lagen ein frischer Leinenschleier und die Rise, so wie es sich für eine verheiratete Frau geziemte.
    Margaret hielt sich gerade und bewegte sich mit natürlicher Anmut. Doch es waren ihre Hände, die an ihr auffielen, obwohl sie nicht von den vielen Ringen geschmückt waren, welche andere Frauen ihres Standes in der Regel trugen. Sie waren lang und spitz zulaufend und bewegten sich so natürlich und anmutig, daß sie den Anschein von Ruhe vermittelten. Und doch waren sie nur selten untätig: stets schienen sie eine Kunkel, eine Nadel oder irgendwie eine Handarbeit zu halten. Und wenn man genauer hinsah, so wirkten sie trotz ihrer Anmut gar nicht so zerbrechlich, sondern kräftig und zupackend. Margarets einziges Zugeständnis an den Reichtum ihres Mannes war das goldene Kreuz an einer Kette um ihren Hals. Aber auch das war schlicht und nicht mit Edelsteinen besetzt, sondern wies ein sehr ausgefallenes, antikes Muster auf und zeugte von gutem Geschmack.
    Das Merkwürdigste an Margaret war jedoch etwas, das sich nicht richtig in Worte fassen ließ: ihre Gegenwart vermittelte ein Gefühl von Ruhe, doch hätte niemand zu sagen gewußt, warum. Sie hatte so eine Art, ins Zimmer zu treten, die auch in der hektischsten Situation heitere Gelassenheit ausstrahlte, doch keiner hätte genau sagen können, wie sie das bewerkstelligte – am allerwenigsten Margaret selbst. Da sie das in der Regel ohne Worte schaffte, mußte es sich schon mehrfach wiederholen, ehe man die Veränderung mit Margarets Gegenwart in Zusammenhang brachte. Aber fahrige, empfindsame Gemüter bemerkten oftmals sofort, daß es ihnen ›besser‹ ging, wenn Margaret zugegen war, und so hatte sie nie Mangel an Freundinnen.
    Man mußte schon hartgesotten sein, um von Margarets Zauber nicht berührt zu werden, doch Bruder Gregory brüstete sich damit, daß ihm die Schmeicheleien eitler, weltlicher Menschen nichts anhaben konnten. Und so wußte er trotz Margarets

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