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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Regiment. Sie brauchte nur zu sagen:
    »Und wo ist Martin?« oder »Gib mir meinen Sohn wieder«, und schon hörte Vater auf zu poltern, sah betreten drein und stimmte allem zu, was sie auch immer vorschlug. Der kleine Martin bekam ein Leichentuch aus einer Leinwand, wie man sie so fein noch nie im Dorf gesehen hatte, aber abgesehen davon wurde nicht weiter darüber geklatscht, denn zur Winterszeit begräbt man viele Säuglinge.
    In jenem Frühling entschloß sich Mutter dann auch, das Brauen aufzunehmen, eine Kunst, auf die sie sich gut verstand. Vater war allmählich immer weniger zu gebrauchen, und so meinte sie, hiermit sei Geld zu verdienen. Und Vater ließ sie jetzt in allem gewähren. Es war nicht nur, daß er sich ihr nicht mehr widersetzen konnte, er hatte ohnedies nur noch einen Gedanken im Kopf: Ale. Und so sagte ihm die Idee, einen großen Vorrat davon im eigenen Haus zu haben, natürlich sehr zu. Der Küfer machte Mutter ein paar ordentliche, große Fässer, und als die erste Portion fertig war, hing sie vor dem Haus das Ale-Aushängeschild mit dem Burschen auf, was anzeigte, daß hier ausgeschenkt wurde, und nannte sich von Stund an »Anne die Brauerin«.
    Und ihr Ruf verbreitete sich so schnell, daß der Abt den Ale-Verkoster schickte, um die Qualität ihrer Braukunst zu prüfen. Nach einem ausgiebigen Rülpser sagte der treffliche Mann, besseres Ale hätte er in den letzten zwölf Monaten nicht zu kosten bekommen und verbrachte den Rest des Tages dabei. Und Mutter schenkte das Maß so voll, daß es überfloß. Sie gehörte nicht zu jenen unehrlichen Brauern, die es ja geben soll und die man gleich neben ihren Maßen mit dem falschen Boden in den Stock legt. Mutter Anne verdiente bald so gut, daß wir bauen konnten: das große Vorderzimmer mit Bänken für die Kundschaft, im schiefen Winkel daran angebaut einen anderen Raum hinten am Haus, dazu noch ein Dachboden über dem Hauptraum, auf dem wir Kinder schliefen. Mit klug ausgewählten Geschenken und Schmeicheleien bekam sie sogar Vater Ambrose, welcher dergleichen Sündenpfuhl verabscheute, dahin, daß er widerstrebend zugestand, wenn es eine solche Stätte schon geben müsse, dann zumindest eine ehrliche.
    Mir machte es Spaß, Mutter beim Brauen zu helfen, denn das ist eine große Kunst, für die es eines umsichtigen und achtsamen Charakters bedarf, aber allerhand Glück gehört auch dazu. Während sie arbeitete, war Mutter zu beschäftigt, um sich zu ärgern, und manchmal summte sie sogar tonlos vor sich hin.
    Im zweiten Sommer, nachdem sie das Brauen aufgenommen hatte, waren wir gerade dabei, in mehreren großen Töpfen Maische anzusetzen, als Hochwürden Ambrose uns einen Besuch zu Hause abstattete.
    »Ich bin auf der Suche nach Eurem Mann, Gevatterin, denn ich muß ihn geschäftlich sprechen«, rief der Priester. »Auf dem Feld habe ich ihn nicht angetroffen, daher suche ich ihn hier.«
    »Ja, er ist drinnen, Vater. Er liegt wieder einmal krank danieder«, erwiderte sie liebenswürdig. »Aber bei der Hitze mögt Ihr doch sicher ein Ale.«
    Und Hochwürden Ambrose, dem der Schweiß unter dem breitkrempigen Hut herunterlief, antwortete:
    »Danke für die freundliche Einladung, Mutter Anne, heute will ich sie Euch nicht abschlagen.«
    Während sie mir die Töpfe anvertraute, erklärte sie zu Vaters Rechtfertigung:
    »Die Jungen sind alle im Heu, aber die Hitze hat ihm zu mächtig zugesetzt. Er ist auch nicht mehr der Jüngste, Vater.« Ihre Stimme verklang im Haus. Als sich die Gelegenheit bot, ließ ich Arbeit Arbeit sein und spähte durchs niedrige, offene Fenster. Ich konnte sie beide an dem breiten, durchhängenden Bett stehen sehen, auf dem Vater sich rekelte.
    »Hmm, wahrhaftig, die Hitze hat ihm mächtig zugesetzt«, sagte Vater Ambrose und rümpfte die Nase über den schalen Biergeruch, den Vater ausdünstete.
    »Wach auf, komm zu dir, guter Hausvater, Hochwürden Ambrose ist in Geschäften zu dir gekommen«, sagte Mutter und überspielte ihre Verlegenheit, indem sie mit fahrigen Bewegungen so tat, als müßte sie etwas im Haushalt beschicken. Vater stöhnte und setzte sich im Bett auf.
    »Ich bin in wichtigen Geschäften hier, Geschäften, die Euch mit großem Stolz und mit Freude erfüllen sollten.« Hochwürden Ambrose sprach ein wenig laut, so als wäre Vater taub. Der zuckte zusammen.
    »Freude?« murmelte er und versuchte sich zurechtzufinden.
    »Und Stolz«, half Mutter nach, denn sie ahnte allmählich genau wie ich, um was es sich

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