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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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August und Senyora Elisenda maßen die Entfernung – zehn langsame Schritte –, die sie vom unterwürfigen Lächeln des Bruders Pförtner am anderen Ende des Kreuzgangs trennte.
    »Du mußt damit aufhören.«
    »Nein. Oriols Andenken hat das verdient.«
    »Du bist eine widerliche, schmutzige Dirne.«
    »Wenn ich mich recht entsinne«, sagte sie tonlos, »zieht sich ein Beichtvater, der das Beichtgeheimnis direkt verletzt, die dem Apostolischen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation zu.«
    »Verflucht sollst du sein.«
    »Artikel eintausenddreihundertachtundachtzig, Onkel. So ist es nun mal.«
    »Der Lehrer war kein Heiliger. Er war nur dein Liebhaber.«
    »Ein Kodex des Kanonischen Rechts, Onkel. Die Seligsprechung wird ihren Weg gehen.«
    »Möchten Sie sich ein wenig ausruhen? Hochwürden? Senyora?«
    »Nein danke, die Gäste erwarten uns schon.«
    Hochwürden August weinte innerlich und hatte die Frage des Bruders Pförtner gar nicht gehört. Er zwang sich, den Kopf zu heben, und verzog gequält das Gesicht, was der Bruder Pförtner als Freude über die glückliche Vermählung deutete.
    Als sie durch die Pforte aus dem Klosterbezirk heraustraten, war Hochwürden August vollends verwirrt vom Blitzlichtgewitter der Fotografen der Regenbogenpresse. Hinter der Presse stand eine Gruppe lachender Mädchen mit Rucksäcken, und als sie das ungleiche Paar die Treppe herunterkommen sahen, sagte ein Mädchen mit Zöpfen und bergwiesengrünen Augen: »Das ist sicher das Brautpaar«, und seine Freundinnen lachten noch lauter, in überschäumender Lebensfreude. »Jacinto, ich weiß nicht, was seit ein paar Tagen mit dir los ist: Muß ich jetzt warten, bis du dich bequemst, den Wagen vorzufahren?«
    »Entschuldigen Sie, Senyora.«
    Entschuldige, Elisenda, aber deine Augen sind im Zorn noch bezaubernder, als wenn Ruhe in ihnen herrscht.
    Nach der festlichen Zeremonie, den Privataudienzen im kleinsten Kreis und der lästigen, aber unvermeidlichen Fotositzung trafen sich Honoratioren und Gäste in einem Luxushotel im Stadtzentrum wieder, wo das Fest zu jedermanns Vergnügen weiterging, einschließlich einer erneuten lästigen, aber unumgänglichen Fotositzung im Hotelgarten. Die Anzahl der Gäste war so groß, daß zwei Säle des namhaften Hotels für die Feier hergerichtet worden waren. Anläßlich der glänzenden Vermählung des Erben des Sportimperiums Vilabrú (Brusport, Brusport Sportanlagen, Skistation Tuca Negra S. A.,Vilabrú Sportswear) mit Mertxe Centelles- Anglesola Erill, Tochter einer der bedeutendsten Familien aus der kleinen, aber feinen Welt der Aristokratie, waren High Society und alter Adel zusammengekommen. Mertxeist eine von den Centelles-Anglesolas, die seitens der Anglesolas mit den Cardona-Anglesolas verwandt sind, und von den Erills de Sentmenat, denn Mertxes Mutter ist die Tochter von Eduardo Erill de Sentmenat, dem Besitzer von Maderas Africanas und Aufsichtsratsvorsitzenden der Banca de Ponent. Echter Adel, aber auch in echten Schwierigkeiten durch die Verluste von Maderas Africanas, wie aus den Augenringen von Senyor Félix Centelles-Anglesola ersichtlich war, dem Schwiegersohn Eduardo Erills de Sentmenat, der gerade vor einer Woche die letzten Besitzungen in Argentinien verkauft hatte, um den Forderungen der Gläubiger nachkommen zu können. Ja, an Senyora Elisenda Vilabrú. Nein, zu einem anständigen Preis, denn knauserig war Senyora Vilabrú nicht, das mußte man ihr lassen. Eine schnelle, diskrete Operation zur beiderseitigen Zufriedenheit. Sozusagen. Tatsächlich blieb der Besitz ja gewissermaßen in der Familie, denn sollte das glückliche Paar einen Sohn haben, so wäre dieser ein Vilabrú-Centelles-Anglesola Vilabrú Erill de Sentmenat, von den Vilabrú Cabestanys von den Vilabrú-Comelles und den Cabestany Roures und den Vilabrú Ramis von den Vilabrús aus Torena und den Ramis von Pilar Ramis aus Tírvia, dem Flittchen, besser, wir reden nicht davon aus Rücksicht auf den armen Anselm, und den Centelles-Anglesolas von den Cardona-Anglesolas und den Erills de Sentmenat von Eduardo Erill de Sentmenat, dem ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Banca de Ponent und Besitzer der verdammten Maderas Africanas, zu dem ich schon vor zwanzig Jahren gesagt habe, Papà, das müssen wir verkaufen, bevor uns das Holz verfault, und er sagte, »Glaubst du?«, und jetzt haben wir alle die Verluste zu tragen. Und die dreisteste von allen ist diese Frau, ist steinreich, stinkt geradezu vor Geld, besitzt

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