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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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die Haxen brechen können.
    »Na und? Skilehrer wie dich gibt’s wie Sand am Meer.«
    Nein, du bist der Beste. Aber ich bin zu aufgebracht über deine Lügen und darüber, daß die Leute über Dinge reden, über die sie nicht reden sollten. Du hast doch gewußt, du Lump, daß die erste und wichtigste Bedingung für unser Verhältnis absolute Geheimhaltung war, du hast es bei meiner Möse geschworen, erinnerst du dich? Ich werde dich vermissen.
    »Du hast genug von mir.«
    »Ich bin wütend, weil du mich nicht nur betrogen, sondern noch dazu unser Geheimnis an Mamen ausgeplaudert hast. Wem hast du noch davon erzählt?«
    »Ich habe nichts gesagt, ich schwör’s.«
    »Wie billig du bist.«
    »Ich schwöre dir, ich …«
    »Gib dir keine Mühe. Wenn du willst, stelle ich sie dir gegenüber, dann werden wir ja sehen.«
    »Wenn du Zicken machst, gehe ich an die Öffentlichkeit. Ich schwör dir, das ist mir scheißegal. Aber den Skandal kannst du dir vorstellen, oder?«
    Mit einem Ruck griff Elisendas Quiques Kleider und ging aus dem Zimmer. Sie kam zurück, hoch aufgerichtet, die Kleider in der Hand, und versuchte, ruhig zu wirken.
    »Wenn du mir noch einmal drohst, und sei es auch nur zum Scherz, lasse ich dich umbringen.«
    Sie ging wieder hinaus, öffnete die Tür zur Straße und warf seine Kleider aufs Pflaster, ihre erste unbeherrschte Geste nach Jahren millimetergenau berechneter Reaktionenund Wirkungen. Das Sternenlicht fiel sanft auf Unterhose und Strümpfe, Anorak, Hose, T-Shirt und Hemd des verstoßenen Liebhabers. Und auf die noch qualmende Kippe, die jemand auf der anderen Seite des Platzes fortgeworfen hatte.

31
    Zweimal blinken hieß keine Patrouille zwischen Sort und dem Paß von Bonaigua. Dreimal blinken hieß Soldaten zwischen Sort und València d’Àneu. Fünf Blinkzeichen bedeuteten, kommt nicht ins Tal hinunter, bleibt auf den Bergkämmen, und möge Gott (oder wer auch immer) euch beistehen, wenn er mag. Bei mehr als fünf Blinkzeichen hätten sie besser daran getan, sich nicht auf dem Dachboden der Schule von Torena aufzuhalten, denn dann standen sie kurz davor, entdeckt zu werden, ihr Armen, ihr sitzt in einer tödlichen Falle. Es war ein primitives, aber wirkungsvolles System. Und gefährlich für den, der die Blinksignale gab, denn ebenso, wie sie das zwei-, drei-, vier-, fünf- oder mehrmalige Blinken sahen, sah es auch Korporal Faustino Pacón aus der Garnison in Sort vom Batlliu aus. Er war mit einem kümmerlichen Häuflein auf den Berg gestiegen, weil irgendein Kommandant hatte sagen hören, bald werde es Ärger geben, so daß sie nun Nachtwachen halten mußten wie bei Rembrandt. Was zum Teufel ist dieses Licht? Was übermitteln sie da wohl – und wem? Das muß ich im Bericht vermerken.
    Oriol und Leutnant Marcó standen in der Wohnung des Lehrers im Dunkeln am Fenster und sahen zum Paß von Cantó unterhalb des Torreta de l’Orri hinüber. Sie wußten, daß es eine gefährliche Fracht war, die auf dem Dachboden schlief. Oriol dachte, ich komme nur noch hierher, um nach den Blinkzeichen Ausschau zu halten, ohne Rosa und meine namenlose Tochter will ich gar nicht zurückkehren; und er dachte daran, daß Valentí Targa ihm gesagt hatte, er sei befugt, alle Lehrer der Gegend zusammenzutrommeln, um sie zu überzeugen, verdammt noch mal endlich der Falangebeizutreten. Er hatte geantwortet, ja, ja, was für eine ausgezeichnete Idee.
    »Was?«
    »Was für eine ausgezeichnete Idee.«
    »Was ist eine ausgezeichnete Idee?« fragte Ventura verwundert.
    »Entschuldige, ich habe laut gedacht.«
    Sie dämpften die Stimmen, denn in einem stillen, argwöhnischen Dorf gibt die Nacht jedes Hüsteln, jeden Schrei im Schlaf, jedes Schnarchen, jeden Neid preis, und die Wände sind dünn wie Zigarettenpapier.
    »Du bist nervös.«
    »Ja. Ich will aussteigen.«
    »Das geht jetzt nicht.«
    »Die Leute hassen mich. Deine Frau haßt mich. Warum sagst du ihr nicht, daß …«
    »Nein. So ist es sicherer. Sicherer für alle.« Er starrte durch die Scheiben in die Schwärze hinaus. »Siehst du denn nicht, daß du jetzt nicht aussteigen kannst?«
    Sie schwiegen und spähten wartend in die Dunkelheit. Eine Sternschnuppe schrieb einen unerfüllbaren Wunsch in den Himmel.
    »Auch meine Frau haßt mich. Das ist unerträglich. Und sie wird dafür sorgen, daß meine Tochter mich verachtet.«
    Als wäre der Leutnant der Erfüllungsgehilfe der Sternschnuppe, die in der Nacht verschwunden war, zog er, ohne den Blick vom

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