Die Stimmen des Flusses
nicht.«
Oriol legte die Zeitung vor seinen Feind. Ihm war übel. Er zog sich hinter seine schützende Staffelei zurück.
»Warum sagen Sie, es ist schon das zweite Mal?«
Wohl aus Prahlerei – es war immer gut, vor einem so gebildeten Menschen wie dem Lehrer Fontelles als Held dazustehen – berichtete Valentí, daß genau an dem Tag, an dem er nach Barcelona gefahren war, um seine Zuckerpuppe zu besuchen – erinnerst du dich? – nun, genau an dem Tag …
»Und was ist passiert?«
Valentí war zu dem Schluß gelangt, es müsse jemand aus dem Dorf gewesen sein, jemand ohne besondere militärische Erfahrung, denn er hatte danebengeschossen, als es leichter gewesen war, ihn zu treffen als ihn zu verfehlen.
Plötzlich sprang er auf, holte die Pistole aus der Schublade, ging zur Staffelei hinüber, stellte sich hinter Oriol und zielte auf seinen Nacken.
»Von hier«, sagte er. »Kannst du dir vorstellen, wie jemand da nicht treffen kann?«
Oriol, der keine Kraft hatte zu fliehen, schloß die Augen und wartete auf den Gnadenschuß.
30
»Papst Julius II. hat also als Kommendatarabt von Montserrat den gotischen Kreuzgang finanziert, bevor er Papst wurde, als er noch Giuliano della Rovere war«, sagte er und stellte das Faltblatt an seinen Platz zurück. »Nun, auch Senyora Elisenda Vilabrú, verwitwete Vilabrú, ist bereit, jede erdenkliche Summe – Sie haben richtig gehört, jede erdenkliche Summe – zu zahlen, damit die Hochzeit am 24. April stattfinden kann.«
»Ich nehme an, Sie meinen April 1972.«
»Nein. 1971. Den 24. April 1971.«
»Sie sind verrückt. Das ist in sechs Monaten.«
»Das ist mehr als genug Zeit.«
»Der Tag ist bereits belegt.«
»Machen Sie ihn frei. Geben Sie mir die Anschrift der betreffenden Leute, und ich werde sie überzeugen. Ich möchte ab zwölf Uhr über die Räumlichkeiten verfügen können.«
»Hören Sie mal, so funktioniert das nicht. Ich habe Anweisung, die Reihenfolge der Anfragen strikt einzuhalten. Ohne Ausnahme.«
Rechtsanwalt Gasull sah den Angestellten der Agentur mitleidig an. Er schüttelte sorgenvoll den Kopf, steckte die Hand in die Tasche und zog ein Bündel nagelneuer Banknoten hervor.
»Das ist für Sie, nur dafür, daß Sie mir zuhören.«
»Was soll das heißen?« Gasulls Vorgehensweise erschreckte den Angestellten ein wenig, doch seine Augen blitzten beim Anblick des Bündels.
»Wenn Sie mir nicht nur zuhören, sondern dafür sorgen, daß in sechs Monaten, nämlich am 24. April 1971, die Hochzeit zwischen Senyor Marcel Vilabrú Vilabrú und SenyoretaMercedes Centelles-Anglesola Erill stattfinden kann, brauchen Sie vielleicht gar nicht mehr hier zu arbeiten.«
Der Angestellte der Agentur fühlte, wie sein Mund trocken wurde. Es war das erste Mal, daß ihm ein ordentliches Angebot unterbreitet wurde, seit er die Leitung der Agentur mit dem festen Vorsatz übernommen hatte, beim Thema Montserrat absolut unnachgiebig zu bleiben, denn jeder will dort heiraten – du verstehst schon. Er verstand sofort, denn er tat, was er konnte, und erhielt von Zeit zu Zeit bescheidene Dankesbeweise. Aber das hier hatte ein völlig anderes Kaliber.
»Ich verspreche Ihnen, mein Bestes zu tun.«
»Sie sollen nicht Ihr Bestes tun, Sie sollen es zustande bringen.«
Wieder schluckte er trocken. Er ließ das unbequeme Bündel in einer Schublade verschwinden und lächelte dem ungerührten Rechtsanwalt Gasull zu. Diesen Sommer geht’s endlich nach Lanzarote, dachte er, noch immer überrascht von der Dicke des Bündels.
Niemand hatte bezweifelt, daß Marcel und Mertxe am 24. April 1971 um zwölf Uhr mittags, zwischen Sext und Non, am Hauptaltar des Klosters von Montserrat getraut würden. Die Braut war in luftiges Weiß gehüllt, und die Fotografen wußten nicht, welche der berühmten Persönlichkeiten unter den Gästen der Braut sowie des Bräutigams sie zuerst fotografieren sollten. Niemand dachte Matutina ligat Christum, qui crimina purgat; Prima replet sputis, dat causam Tertia mortis; Sexta cruci nectit; latus eius Nona bipertit; Vespera deponit, tumulo Completa reponit. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich unauffällig umzusehen und sich zu merken, wer gekommen war, und freuten sich, weil nicht alle geladen waren.
Der Zivilgouverneur und Provinzchef des Movimiento war in Galauniform erschienen; seine Glatze und seine Hände schwitzten, denn unter den hochrangigen Gästen war erder einzige, dem dieser Fauxpas unterlaufen war. Die neue Devise lautete,
Weitere Kostenlose Bücher