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Die Stimmen von Marrakesch

Die Stimmen von Marrakesch

Titel: Die Stimmen von Marrakesch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Canetti
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die wir gewöhnlich in kleinen Gruppen von drei oder vier zum Essen kamen, rasch zu umringen, sobald sie unser ansichtig wurden. Manche, die sich schon Monate in der Stadt aufhielten, waren des Gebens müde und trachteten, die Kinder abzuschütteln. Andere zögerten, bevor sie ihnen etwas gaben, weil sie sich dieser ›Schwäche‹ vor ihren Bekannten schämten. Schließlich mußte man es einmal lernen, hier zu leben, und die ansässigen Franzosen gingen einem mit gutem oder schlechtem Beispiel, wie man es nimmt, voran: Sie griffen prinzipiell nie für einen Bettler in die Tasche und taten sich auf diese Dickhäutigkeit noch einiges zugute. Ich war noch frisch und sozusagen jung in der Stadt. Es war mir gleichgültig, was man von mir dachte. Mochte man mich für einen Schwachkopf halten, ich liebte die Kinder.
    Wenn sie mich einmal versäumten, war ich unglücklich und suchte sie selber, ohne es sie merken zu lassen. Ich mochte ihre lebhaften Gesten, die kleinen Finger, mit denen sie in ihren Mund zeigten, wenn sie mit kläglichen Mienen ›manger! manger!‹ winselten, die unsäglich traurigen Gesichter, die sie schnitten, so als ob sie wirklich vor Schwäche und Hunger am Zusammenbrechen wären. Ich mochte ihre tolle Ausgelassenheit, sobald sie etwas in Empfang genommen hatten, den lachenden Eifer, mit dem sie davonrannten, ihre armselige Beute in der Hand; den unglaublichen Wechsel in ihren Gesichtern, von Ersterbenden waren sie plötzlich zu Glückseligen geworden. Ich mochte ihre kleinen Schliche, mit denen sie mir Säuglinge entgegentrugen, deren winzige und beinahe fühllose Händchen sie mir hinstreckten, wozu sie ›für ihn auch, für ihn auch, manger! manger!‹ bettelten, um die Gabe zu verdoppeln. Es waren nicht wenige Kinder, ich trachtete gerecht zu sein, aber natürlich hatte ich meine Lieblinge unter ihnen, solche, deren Gesichter von einer Schönheit und Lebhaftigkeit waren, daß ich mich nie an ihnen sattsehen konnte. Sie folgten mir bis an die Türe des Restaurants, unter meinem Schütze fühlten sie sich sicher. Sie wußten, daß ich ihnen gut gesinnt war und es lockte sie, in die Nähe dieses märchenhaften Platzes zu gelangen, der ihnen verboten war und wo man so viel aß.
    Der Inhaber, ein Franzose mit rundem Glatzkopf und Augen wie Fliegenpapier, der für seine Stammgäste warme, gute Blicke hatte, mochte diese Annäherung der Bettelkinder an sein Lokal nicht leiden. Ihre Lumpen nahmen sich nicht fein aus. Die Gutangezogenen Gäste sollten in Behagen ihr teures Essen bestellen und dabei nicht immer an Hunger und Läuse erinnert werden. Wenn ich beim Eintreten die Türe öffnete und er, zufällig in der Nähe stehend, einen Blick auf die Schar der Kinder draußen warf, schüttelte er unmutig den Kopf. Aber da ich zu einer Gruppe von fünfzehn Engländern gehörte, die täglich zwei sichere Mahlzeiten bei ihm einnahmen, wagte er es nicht, mir etwas zu sagen, und wartete eine günstige Gelegenheit ab, da sich das mit Ironie und Fröhlichkeit erledigen ließe.
    Eines Mittags, als es sehr stickig war, blieb die Türe des Restaurants offen, um etwas frische Luft einzulassen. Ich hatte mit zweien meiner Freunde den Überfall der Kinder absolviert und wir nahmen an einem freien Tische in der Nähe der offenen Türe Platz. Die Kinder blieben, da sie uns im Auge behalten konnten, ziemlich nahe vor der Türe draußen stehen. Da wollten sie ihre Freundschaft mit uns fortsetzen und vielleicht auch zusehen, was wir alles essen würden. Sie machten uns Zeichen, und ganz besonderen Spaß fanden sie an unseren Schnurrbärten. Eine vielleicht Zehnjährige, die hübscheste von allen, die längst bemerkt hatte, daß ich sie gut leiden konnte, zeigte immer wieder auf die winzige Fläche zwischen ihrer Oberlippe und ihrer Nase und packte dort einen illusorischen Schnurrbart zwischen zwei Fingern, an dem sie heftig zupfte und zog. Dazu lachte sie herzlich, und die anderen Kinder lachten mit.
    Der Restaurateur kam an unseren Tisch, um unsere Bestellung entgegenzunehmen und sah die lachenden Kinder. Mit strahlender Miene sagte er zu mir: »Das spielt schon die kleinen Kokotten!« Ich war verletzt über diese Insinuation, vielleicht wollte ich ihm auch nicht glauben, weil ich meine Bettelkinder wirklich mochte, und fragte unschuldig: »Was, doch nicht in diesem Alter!«
    »Haben Sie eine Ahnung«, sagte er, »um 50 Franken können Sie jede von ihnen haben. Da geht eine jede sofort mit Ihnen um die Ecke.«
    Ich war

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