Die Stimmen von Marrakesch
Bordell hinüber, das ›LA RIVIERA‹ hieß und ein paar Minuten von der Bar entfernt war. Er verbrachte gern ein, zwei Stündchen dort, kam zurück, gewöhnlich mit seinen Gästen. Man erzählte der Frau, wo man gewesen war, berichtete ihr über neue Mädchen, die im Bordell eingetroffen waren, trank etwas und ging vielleicht später, mit anderen Kunden, wieder in die ›Riviera‹. Es war das häufigste Wort, das man in der ›Scheherezade‹ hörte.
Monsieur Mignon hatte ein rundes, verschlafenes Knabengesicht über strotzenden Schultern. Er lächelte faul und sprach für einen Franzosen erstaunlich langsam und wenig. Auch die Frau konnte schweigen, sie hatte ihre Empfindlichkeit und drängte sich nicht leicht auf.
Aber hatte sie einmal zu sprechen begonnen, so hörte sie schwer wieder auf. Er spülte indessen ein paar Gläser oder schlief oder ging in die ›Riviera‹. Madame erlaubte ihrem starken Mann nie, betrunkene Gäste, die frech wurden, hinauszuwerfen. Sie besorgte das alles selber. Das Lokal gehörte ihr, und für gefährliche Fälle hatte sie einen Gummiknüppel hinter der Bar versteckt, da wo auch die Grammophonplatten lagen. Ihren Freunden zeigte sie diesen Knüppel gerne her, wobei es nie ohne anzügliches Gelächter abging, und sagte dazu: »Er ist nur für Amerikaner.« Mit betrunkenen Amerikanern hatte sie die größten Schwierigkeiten und so galt auch diesen ihr glühender Haß. In ihren Augen gab es zwei Arten von Barbaren, Eingeborene und Amerikaner.
Ihr Mann war nicht immer bei der Fremdenlegion gewesen. Eines Tages wandte er sich auf seine halb faule, halb schlaue Weise an mich und fragte: »Sie sind ein Doktor, ein Doktor für die Verrückten, nicht wahr?« »Warum glauben Sie das?« fragte ich und stellte mich überrascht. »Man hat es uns gesagt. Ich war zwei Jahre in einem Irrenhaus bei Paris, als Wärter.« »Da verstehen Sie etwas davon«, sagte ich und er fühlte sich geschmeichelt. Er erzählte mir von seinem Berufe damals, und wie er sich bei den Irren ausgekannt und genau gewußt habe, welche gefährlich waren und welche nicht. Er hatte seine eigene, einfache Klassifikation für sie, je nachdem wie gefährlich sie ihm erschienen waren. Ich fragte ihn nach Verrückten in Marrakesch aus und er erwähnte einige stadtbekannte Fälle. Von diesem Abend an behandelte er mich ein wenig wie einen ehemaligen Vorgesetzten aus derselben Berufssphäre. Wir sahen uns auch an, wenn jemand im Lokal sich ein bißchen verrückt aufführte; und hie und da bot er mir sogar einen Gratis-Cognac an.
Madame Mignon hatte eine Freundin, eine einzige, von der sie ausgiebigen Gebrauch machte. Sie hieß Ginette und kam immer. Meist saß sie auf einem der hohen Stühle vor der Bar und wartete. Sie war jung und herausgeputzt und von sehr bleicher Gesichtsfarbe, wie ein Mensch, der die ganze Nacht auf ist und bei Tag schläft. Sie hatte vorstehende Augen, jeden Augenblick drehte sie sich nach der Tür der Bar um, ob ein Gast komme; ihre Augen wirkten dann so, als klebten sie auf der Scheibe.
Ginette sehnte sich nach einem Ereignis. Sie war zweiundzwanzig und noch nie aus Marokko draußen gewesen. Sie war hier geboren, von einem englischen Vater, der nach Dakar gegangen war und sich nicht um sie scherte und einer italienischen Mutter. Sie hörte gerne englisch reden, weil es sie an ihren Vater erinnerte. Was dieser trieb, warum er in Marokko gewesen und dann nach Dakar gegangen war, konnte ich nicht erfahren. Sowohl Madame Mignon wie sie selber erwähnten ihn manchmal mit Stolz und sie ließen, ohne es eigentlich zu sagen, durchblicken, daß er wegen der Tochter verschwunden war. Sicher wünschten sich beide, daß es so sei, denn da der Vater sich nicht um sie kümmerte, war es immerhin etwas, daß er die Stadt, in der sie lebte, geradezu mied. Von der Mutter sprach man nie; ich hatte den Eindruck, daß sie noch in Marrakesch lebe, aber man war nicht stolz auf sie. Vielleicht war sie arm, oder ihr Beruf nicht besonders ehrenvoll, vielleicht hielt man nicht viel von Italienern. Ginette träumte von einem Besuch in England, auf das sie sehr neugierig war. Aber sie wäre überall hingegangen, auch nach Italien; sie wartete auf einen Ritter, der sie von Marokko wegnehme. In Stunden, da die Bar leer war, schien sie besonders erwartungsvoll. Der Abstand von ihrem hohen Stuhl bis zur Tür betrug vielleicht drei Meter, aber wenn diese aufging, fuhr sie jedesmal zurück, als hätten ihre Augen einen Stoß
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