Die Strasse des Horus
nicht, was in seinem Kopf vorging. In ihrem war nur Platz für Erinnerungen.
Die sonderbare Gelassenheit dieser Wochen wurde durch Ramoses, Mesehtis und Machus Rückkehr gestört. Eines schönen Nachmittags kamen sie flussaufwärts gefahren, hinter sich eine kleine Flotte Schiffe mit Dienern, und da wusste Aahmes-nofretari, dass die Zeit stiller Einkehr vorbei war. Am Tag zuvor war ein Herold eingetroffen, der Ahmose die Ankunft der Fürsten gemeldet hatte, und dieser wartete jetzt mit Hor-Aha und Anchmahor oben an der Bootstreppe. Aahmes-nofretari war auch zugegen und nahm die steife Haltung und ausdruckslose Miene ihres Mannes sehr bewusst wahr, während dieser zusah, wie das Schiff an der Bootstreppe anlegte und die Laufplanke ausgelegt wurde.
Ramose kam als Erster von Bord, stieg die Stufen hoch, ging auf Ahmose zu, streckte die Arme aus und huldigte ihm mit einer Verneigung. Ahmose winkte ihn zu sich und umarmte ihn. »Mein Freund«, sagte er leise. »Willkommen daheim. Ich weiß noch nicht, wie ich die Schuld abtragen kann, die sich seit den Tagen meines Vaters angesammelt hat. Und ich kann dir auch nicht beschreiben, wie ich unter der Hinrichtung deiner Mutter gelitten habe. Ich bin mir sehr wohl bewusst, welche Qualen ein Mensch leidet, wenn er wählen muss, wem er folgen soll, und dir hat man diese Wahl zu oft aufgezwungen. Ich bete darum, dass dir dieser bittere Becher nie wieder gereicht wird.« Ramose lächelte traurig.
»Wie schön, dass du völlig genesen bist, Majestät«, antwortete er. »Ich möchte mit Verlaub auf der Stelle ins Haus des Todes gehen und mich davon überzeugen, dass meine Mutter ordnungsgemäß einbalsamiert wird.« Er nahm Aahmes-nofretaris Hand und sagte: »Wieso trägst du noch nicht das Armband des Befehlshabers?« Bei diesen heiteren Worten lachte sie und schloss ihn impulsiv in die Arme.
»Lieber Ramose!«, rief sie. »Wir trauern zwar alle, aber ich freue mich, dass du lächelst.«
Die beiden Fürsten hatten stumm hinter Ramose gewartet, und als Ahmose den Blick auf sie richtete, fielen sie auf die Knie. Sie drückten die Stirn auf die Steine, schoben den stets vorhandenen Sand zu einem Häuflein vor sich zusammen und streuten ihn sich über den Kopf, eine Geste der Bußfertigkeit und Unterwürfigkeit. »Sie haben sich rein gewaschen, Ahmose«, sagte Ramose leise. »Du hast etwas über die Not gesagt, wenn man zwei Herren treu sein muss. Sie haben gewählt. Sie sind hier, nicht in Auaris. Bitte…« Ahmose hob gebieterisch die Hand.
»Wisst ihr eigentlich«, sagte er zu den mit Staub bedeckten Häuptern, »dass die Frau neben mir mehr Mut gezeigt und aus Verzweiflung und Treue mehr Heldentaten vollbracht hat als einer von euch? Dass mein Bruder noch leben könnte, wenn auch nur ein Tropfen dieser Tapferkeit in eurem blauen, verwässerten Blut zu finden wäre!« Er schrie und beugte sich vor. »Aber nein! Ihr habt den Mund gehalten! Ihr habt euch vor der Verantwortung gedrückt und euch weggeschlichen wie zwei Hyänen! Amuns Fluch über euch, ihr Memmen!« Er richtete sich wieder auf. »Steht auf«, befahl er ruhiger. »Das heißt, wenn euer schwaches Rückgrat euch das erlaubt. Sagt mir, was soll ich mit euch anfangen?«
»Majestät, du hast in allen Punkten Recht.« Mesehti wagte, ihm zu antworten. »Wir haben auf Meketra und die anderen gehört und das, was wir wussten, nicht an Osiris Kamose weitergegeben. Dennoch haben wir gewählt. Wir haben uns lieber herausgehalten. Wir konnten unsere fürstlichen Brüder nicht unterstützen, obwohl wir ihnen aufgrund unserer gemeinsamen Stellung Treue schuldeten, aber verraten konnten wir sie auch nicht. Falls wir vom Wege abgekommen sind, dann nicht aus Feigheit, sondern aus Unsicherheit.«
»Unsicherheit«, wiederholte Ahmose. Er seufzte. »Unsicherheit hat Kamose von Anfang an behindert, und in einem war er sich überhaupt nicht sicher, nämlich was im Herzen seiner Fürsten zu lesen stand.« Er wandte sich jäh an seine Frau. »Aahmes-nofretari, du hast in dieser Sache auch ein Wort mitzureden. Man hat dich gezwungen, auf dem Exerzierplatz dein Leben aufs Spiel zu setzen. Du hast dastehen und den Hinrichtungen zusehen müssen. Das hat dich verletzt und verändert. Was rätst du mir?«
Sie staunte, dass er ihre Bedeutung so großmütig und öffentlich herausstellte und wie feinfühlig er auf ihr aufgewühltes und mittlerweile ruhiges Ka einging. Auf einmal war ihr klar, ihre Antwort würde entscheiden, ob sie diese
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