Die stumme Bruderschaft
gläubig, und ich teile mit anderen Rittern gewisse Prinzipien: die Liebe zur Wahrheit und zur Gerechtigkeit.«
Ana spürte, dass sich hinter den Worten von Anthony McGilles etwas verbarg. Es konnte nicht alles so klar, so einfach sein. Sie beschloss, ihr Glück zu versuchen.
»Da Sie so liebenswürdig sind, mich anzuhören, möchte ich Sie um etwas bitten, auch wenn ich Ihre Geduld strapaziere: Könnten Sie mir helfen, ein Ereignis zu verstehen, in das, so glaube ich, die Templer verwickelt waren?«
»Sehr gern. Wir können auf unser elektronisches Archiv zurückgreifen. Sagen Sie mir, um welches Ereignis es geht.«
»Ich möchte gerne wissen, ob die Templer das Grabtuch Christi zur Zeit von Balduin II. aus Konstantinopel geholt haben – damals ist es verschwunden und erst später in Frankreich wieder aufgetaucht.«
»Ah, das Grabtuch! Der Anlass für so viele Polemiken und Legenden … Meine Meinung als Historiker ist, dass der Templerorden nichts mit seinem Verschwinden zu tun hatte.«
»Könnte ich das in den Archiven überprüfen?«
»Natürlich. Professor McFadden wird Ihnen behilflich sein.«
»Professor McFadden?«
»Bei ihm sind Sie in guten Händen. Ich muss jetzt zu einer Versammlung. Der Professor wird Ihnen alles geben, was Sie benötigen, Sie kommen ja schließlich auf Empfehlung unseres lieben Freundes Jerry Donalds.«
Professor McGilles betätigte ein kleines Silberglöckchen, und sofort war der Hausdiener zur Stelle.
»Richard, bringen Sie Miss Jiménez in die Bibliothek. Professor McFadden wird sich dort mit ihr treffen.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Professor McGilles.«
»Ich hoffe, ich konnte Ihnen nützlich sein. Guten Tag.«
37
Guy de Beaujeau, Großmeister des Templerordens, bewahrte das Dokument sorgfältig in einer geheimen Schublade seines Arbeitstisches auf. Sein mageres Gesicht war von Sorge gezeichnet. Die Botschaft der Brüder aus Frankreich warnte ihn, dass man am Hofe Philipps nicht mehr so viele Freunde habe wie zu Zeiten des guten Königs Ludwig, Gott hab ihn selig.
Philipp IV. schuldete ihnen Gold, viel Gold, und je mehr er ihnen schuldete, desto stärker schien seine Abneigung zu werden. In Rom machten außerdem einige religiöse Orden keinen Hehl aus ihrem Neid auf die Macht der Templer.
Aber in diesem Frühjahr des Jahres 1291 hatte Guy de Beaujeau ein dringlicheres Problem als die Intrigen an den Höfen von Frankreich und Rom. François der Charney und Said waren mit schlechten Nachrichten von ihrem Streifzug in das Lager der Mamelucken zurückgekehrt.
Sie hatten einen Monat lang in dem Lager gelebt und den Soldaten zugehört, sie hatten mit ihnen das Brot, das Wasser und die Gebete zu Allah dem Barmherzigen geteilt. Sie hatten sich als ägyptische Händler ausgegeben, die das Heer mit Proviant versorgen wollten.
Die Mamelucken beherrschten Ägypten und Syrien, und sie hatten auch Nazareth in ihren Besitz gebracht, die Stadt, in der Jesus der Herr auf die Welt gekommen war. Außerdem wehte ihre Flagge im Hafen von Jaffa, wenige Meilen von Saint Jean d’Acre entfernt.
Ritter de Charney war eindeutig gewesen: In wenigen Tagen, höchstens zwei Wochen, würden sie Saint Jean d’Acre angreifen. Das sagten die Soldaten und die Offiziere, mit denen sie sich im Lager verbrüdert hatten. Die mameluckischen Kommandanten hatten behauptet, sie würden bald reich sein, wenn sie erst einmal an die Schätze der Festung Saint-Jean d’Acre herangekommen wären, die wie so viele andere Enklaven fallen werde.
Der sanfte Märzwind war ein Vorbote der großen Hitze der nächsten Monate in diesem von christlichem Blut durchtränkten Heiligen Land. Seit zwei Tagen barg eine ausgewählte Gruppe von Rittern das Gold und die Schätze der Templer in Truhen. Der Großmeister hatte ihnen befohlen, sich sobald wie möglich nach Zypern und von da aus nach Frankreich einzuschiffen. Keiner wollte gehen, alle hatten sie Guy de Beaujeau gebeten, bleiben und mit ihm kämpfen zu dürfen. Aber der Großmeister hatte sich nicht umstimmen lassen: Das Überleben des Ordens hing zu einem guten Teil von ihnen ab, denn sie mussten den Schatz der Templer retten.
Am unglücklichsten war François de Charney. Er musste die Tränen zurückhalten, als de Beaujeu ihm eröffnete, er habe eine Mission fern von Acre zu erfüllen. Er bat seinen Oberen im Dienste des Kreuzes kämpfen zu dürfen, aber dieser hörte ihn nicht einmal an. Die Entscheidung war gefallen.
Der Großmeister ging die
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