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Die stumme Bruderschaft

Die stumme Bruderschaft

Titel: Die stumme Bruderschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Navarro
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schlafen, und er fand auch am nächsten Tag keine Ruhe, so stark brannte der Schmerz in seiner Seele.
    Am dritten Tag nach der Kreuzigung ging er an den Platz, wo man Jesus’ Leichnam beigesetzt hatte. Dort traf er Maria, Jesus’ Mutter, und Johannes. Zusammen mit anderen Jüngern rief dieser laut, dass der Körper des Meisters verschwunden sei. In dem Grab lag das Tuch, in das Joseph von Arimathia die Leiche gehüllt hatte. Keiner wagte, es anzufassen, denn das jüdische Gesetz verbietet die Berührung unreiner Gegenstände, und als solcher gilt auch ein Leichentuch.
    Josar nahm es in die Hand. Er war kein Jude, er hatte mit den Verboten ihres Gesetzes nichts zu schaffen. Er drückte das Tuch an sich, und ein Wohlgefühl überkam ihn. Er spürte den Meister. Dieses einfache Stück Leinen zu umarmen war, als würde er den Meister umarmen. In diesem Augenblick wusste er, was er zu tun hatte. Er würde nach Edessa zurückkehren, Abgarus das Grabtuch von Jesus geben, und dann würde Abgarus geheilt. Jetzt verstand er, was der Meister zu ihm gesagt hatte.
    Er verließ das Grab, atmete die kühle Luft ein und machte sich mit dem gefalteten Tuch über dem Arm auf den Weg zu der Herberge, um Jerusalem so schnell wie möglich zu verlassen.
    Die Mittagshitze ließ die Bewohner Edessas sehnsüchtig den Abend erwarten. Die Königin legte feuchte Tücher auf Abgarus’ heiße Stirn und beruhigte ihn: Die Krankheit hatte seine Haut noch nicht zerfressen.
    Ania, die Tänzerin, war ein menschliches Wrack. Sie lebte schon seit längerem außerhalb der Stadt, aber Abgarus wollte sie in ihrer Not nicht allein lassen und schickte ihr Lebensmittel in die Höhle, in die sie sich zurückgezogen hatte. An diesem Morgen hatte einer seiner Männer sie gesehen, als er einen Sack Getreide und einen Schlauch frisches Wasser vor ihrer Höhle abstellte. Er erzählte dem König, dass von dem einst so schönen Gesicht nur noch eine unförmige, zerfressene Masse übrig sei. Abgarus wollte nichts mehr hören und hatte sich in seine Gemächer zurückgezogen, wo er vor Entsetzen einen Fieberanfall bekam und zu delirieren begann.
    Die Königin kümmerte sich um ihn und ließ niemanden an ihn heran. Einige seiner Feinde hatten sich verschworen, ihn zu stürzen. Die Lage war mit jedem Tag angespannter. Das Schlimmste war, dass sie keine Nachricht von Josar erhielten. Er war bei dem Nazarener geblieben. Wenn Abgarus klagte, Josar habe ihn verlassen, versicherte ihm die Königin, er könne ihm vertrauen. Aber allmählich begann auch sie zu zweifeln.
    »Hoheit! Hoheit! Josar ist da!«
    Die Sklavin kam in das Zimmer gestürzt, in dem die Königin dem schlafenden Abgarus Luft zufächelte.
    »Josar! Wo ist er?«
    Die Königin lief aus dem Zimmer, an den erstaunten Blicken der Soldaten und Höflinge vorbei, bis sie vor Josar stand.
    Ihr treuer Freund, noch vom Staub der Reise bedeckt, streckte die Arme aus.
    »Josar, hast du ihn mitgebracht? Wo ist der Nazarener?«
    »Meine Herrin, der König wird gesund werden!«
    »Aber wo ist er, Josar? Sag mir, wo der Nazarener ist.«
    In der Stimme der Königin konnte man die lange Zeit unterdrückte Verzweiflung hören.
    »Bringt mich zu Abgarus.«
    Josars Stimme duldete keinen Widerspruch. Die Umstehenden waren beeindruckt. Die Königin brachte ihn in Abgarus’ Gemach.
    Der König öffnete die Augen und seufzte erleichtert, als er Josar erblickte.
    »Du bist zurückgekehrt, mein guter Freund.«
    »Ja, Abgarus, und jetzt wirst du gesund werden.«
    An der Tür des Gemachs hielt die Wache des Königs einige neugierige Höflinge zurück, die sich das Wiedersehen zwischen dem König und seinem besten Freund nicht entgehen lassen wollten.
    Josar half Abgarus, sich aufzurichten, und gab ihm das Leintuch, das der König an seinen Körper drückte, ohne zu wissen, was es war.
    »Hier ist Jesus, und wenn du glaubst, wirst du geheilt. Er hat mir gesagt, dass du geheilt wirst, und mich mit dieser Mission zu dir gesandt.«
    Die Bestimmtheit von Josars Worten, seine Überzeugung, gaben Abgarus Sicherheit, und er drückte das Tuch noch fester an sich.
    »Ja, ich glaube«, sagte Abgarus.
    Und sein Herz war aufrichtig. Da geschah das Wunder. Die Farbe kehrte in das Gesicht des Königs zurück, und die Spuren der Krankheit verschwanden. Abgarus spürte, wie Kraft in seine Adern strömte und ein Gefühl von Frieden seinen Geist erfüllte.
    Die Königin weinte still, überwältigt von dem Wunder, und die sich an der Türschwelle

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