Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die stumme Bruderschaft

Die stumme Bruderschaft

Titel: Die stumme Bruderschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Navarro
Vom Netzwerk:
drängenden Soldaten und Höflinge konnten sich nicht erklären, wie es zu der plötzlichen Heilung gekommen war.
    »Abgarus, Jesus hat dich geheilt, wie er es versprochen hat. Dies ist das Tuch, in das man seinen Leichnam gehüllt hat; denn du musst wissen, mein König, dass Pilatus zusammen mit den jüdischen Priestern befohlen hat, Jesus zu foltern und zu kreuzigen. Aber sei nicht traurig, denn er ist zu seinem Vater zurückgekehrt, und von dort wird er uns und den Menschen bis ans Ende aller Zeiten beistehen.«
    Die Nachricht von der wundersamen Heilung des Königs verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Abgarus bat Josar, ihm von Jesus zu erzählen, damit er sich seine Lehren aneignen konnte. Er, Abgarus, die Königin und alle Untertanen sollten die Religion von Jesus annehmen. Er befahl, die alten Tempel einzureißen, und ließ Josar vor ihm und seinem Volk predigen, damit sie alle gute Anhänger des Nazareners würden.
     
    »Was machen wir mit dem Grabtuch, Josar?«
    »Mein König, du musst einen sicheren Ort dafür suchen. Jesus hat es dir zu deiner Heilung gesandt, und wir müssen es erhalten und dafür sorgen, dass es keinen Schaden nimmt. Viele deiner Untertanen bitten mich, es anfassen zu dürfen, und ich muss dir sagen, es hat noch weitere Wunder bewirkt.«
    »Ich werde einen Tempel erbauen lassen, Josar.«
    »Ja, mein König.«
    Jeden Tag, wenn im Osten die Sonne aufging, nutzte Josar das erste Licht des Tages, um zu schreiben. Er wollte ein schriftliches Zeugnis von Jesus’ Wundertaten ablegen, die er mit eigenen Augen gesehen hatte, und von allem, was die Freunde des Meisters ihm berichtet hatten, während er in Jerusalem war. Dann ging Josar in den Palast und erzählte Abgarus, der Königin und vielen anderen, was er von den Lehren des Nazareners wusste.
    Er sah das Staunen in den Gesichtern, wenn er predigte, man solle nicht hassen und den Feinden nichts Böses wünschen. Jesus habe gelehrt, auch die andere Wange hinzuhalten.
    Josar konnte auf den Glauben von Abgarus und der Königin zählen, sie halfen ihm, dass die Saat von Jesus’ Lehren aufging. In kurzer Zeit war Edessa christlich, und Josar schickte Nachrichten an einige von Jesus’ Freunden, die wie er die neue Lehre in Dörfern und Städten verbreiteten.
    Als Josar die Geschichte des Nazareners fertig geschrieben hatte, beauftragte Abgarus seine Schreiber, mehrere Kopien zu erstellen, damit die Menschen niemals das Leben und die Predigten dieses außergewöhnlichen Juden vergaßen, der ihn nach seinem Tod geheilt hatte.

7
     
    Als Marco das Auto abstellte, fürchtete er auf einmal, sein Vorhaben könnte sich als reine Zeitverschwendung erweisen. Zwei Jahre zuvor hatte er nichts aus dem Stummen herausholen können. Sie waren zu einem Spezialisten gefahren, und der hatte nach der Untersuchung versichert, dass mit den Ohren des Mannes alles in Ordnung war und dass es keinen körperlichen Grund gab, der ihn am Hören hinderte. Doch der Stumme war so extrem verschlossen, dass sich unmöglich feststellen ließ, ob er sie tatsächlich hörte oder nicht. Möglicherweise ging es diesmal genauso, aber er musste ihn trotzdem sehen und versuchen herauszufinden, was hinter diesem geheimnisvollen Mann steckte.
    Der Gefängnisdirektor war nicht da, aber er hatte Anweisung gegeben, allen Wünschen Marcos Folge zu leisten. Vor allem wollte er allein mit dem Stummen sprechen.
    »Kein Problem«, sagte der Leiter des Wachpersonals, »er ist ein friedfertiger Kerl und macht keine Schwierigkeiten. Er ist bloß ein wenig mystisch veranlagt, er geht lieber in die Kapelle als mit den anderen auf den Hof. Bald kommt er raus. Weil er keinen großen Schaden angerichtet hat, hat er nur drei Jahre bekommen. Ein Jahr noch und dann winkt ihm die Freiheit. Wenn er einen Anwalt hätte, hätte der längst die vorzeitige Entlassung aufgrund guter Führung beantragt, aber niemand kümmert sich um ihn.«
    »Versteht er Sie, wenn Sie mit ihm sprechen?«
    »Keine Ahnung. Manchmal scheint es so und dann wieder nicht. Das ist ganz unterschiedlich.«
    »Das hilft mir nicht weiter.«
    »Der Mann ist sehr eigenartig, ich weiß nicht, er wirkt auf mich nicht wie ein Dieb. Na ja, zumindest verhält er sich nicht wie die anderen Diebe. Wir hatten vor vielen Jahren schon einmal einen Stummen hier, und der war ganz anders, dem hat man angemerkt, dass er ein Verbrecher war. Aber dieser hier, wie ich schon sagte, der starrt entweder vor sich hin oder er ist in der Kapelle.«
    »Hat er nie um

Weitere Kostenlose Bücher