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Die stumme Bruderschaft

Die stumme Bruderschaft

Titel: Die stumme Bruderschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Navarro
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eines Mannes vor sich sah.

24
     
    »Muss ja sehr spannend sein, was du da liest, du hast nicht einmal gemerkt, dass ich hereingekommen bin.«
    »O h, entschuldige, Marco«, sagte Sofia. »Du hast Recht. Aber du warst auch so leise.«
    »Was liest du da?«
    »Die Geschichte des Grabtuchs Christi.«
    »Aber die kennst du doch auswendig. Die kennen wir Italiener alle.«
    »Ja, aber vielleicht ist trotzdem irgendwo eine Spur.«
    »Du meinst, die Sache hat mit der Geschichte des Tuchs zu tun?«
    »Ist nur so eine Vermutung.«
    Marco sah sie verwirrt an. Entweder wurde er alt und verblödete oder Sofia hatte Recht.
    »Und, hast du was gefunden?«
    »Nein, ich lese nur in der Hoffnung, dass mir irgendwann ein Licht aufgeht«, sagte Sofia und fasste sich an die Stirn.
    »Wo bist du?«
    »Ich habe gerade angefangen, also im vierten Jahrhundert, als Bischof Eulalius aus Edessa einen Traum hatte, in dem eine Frau ihm verriet, wo das Grabtuch versteckt war. Du weißt, dass das Tuch die ganze Zeit über verschwunden war, man hatte keine Ahnung, wo es war, nicht einmal, dass es existierte, aber Evagrius …«
    »Was für ein Evagrius?«, fragte Minerva, die gerade hereingekommen war.
    »Also, wie Evagrius in seiner Kirchengeschichte sagt, hat Edessa 544 eine Schlacht gegen die Truppen von Chosroes I. gewonnen, die die Stadt belagerten. Und das alles dank des Mandylion, das sie in einer Prozession an der Mauer entlangtrugen und …«
    »Aber wer ist dieser Evagrius, und was ist das Mandylion?«, fragte Minerva weiter.
    »Wenn du mich ausreden ließest, wüsstest du es«, brummte Sofia.
    »Entschuldigung. Ich habe mich in euer Gespräch eingemischt«, sagte Minerva und zog ein Gesicht.
    Sofia begann von neuem.
    »Also, Evagrius berichtet, Eulalius, der Bischof von Edessa habe einen Traum gehabt, in dem eine Frau ihm enthüllte, wo das Grabtuch Christi versteckt war. Sie suchten danach und fanden es über dem Westtor der Stadtmauer in einer Nische. Der Fund machte ihnen Mut, und sie trugen das Tuch in einer Prozession die Mauer entlang. Von dort aus schossen sie immer noch Brandpfeile gegen die persischen Kriegsmaschinen ab, die auf einmal alle Feuer fingen. Am Ende sind die Perser geflohen.«
    »Eine nette Geschichte, aber stimmt sie auch?«, fragte Minerva.
    »Wir Historiker halten manchmal Geschichten für wahr, auch wenn sie bloße Legenden zu sein scheinen. Die besten Beispiele sind Troja, Mykonos, Knossos … Städte, von denen man jahrhundertelang geglaubt hatte, es handele sich um Mythen. Aber dann kamen Schliemann, Evans und andere Archäologen und bewiesen, dass sie existiert haben.«
    »Dieser Bischof wusste bestimmt schon vorher von dem Grabtuch. Das mit dem Traum glaubt doch keiner, oder?«, sagte Minerva.
    »So wird es berichtet«, antwortete Marco, »und wahrscheinlich hast du Recht. Eulalius musste wissen, wo das Grabtuch war, oder er hat es selbst dorthin bringen lassen, um es im passenden Moment hervorzuholen und behaupten zu können, es sei ein Wunder geschehen. Aber wer will wissen, was vor mehr als eintausendfünfhundert Jahren wirklich geschehen ist.«
    Pietro, Giuseppe und Antonino kamen zusammen, sie diskutierten hitzig über Fußball.
    Marco hatte sein Team zusammengetrommelt, um mitzuteilen, dass der Stumme in ein paar Monaten freikommen werde und dass sie seine Verfolgung vorbereiten müssten.
    Pietro sah Sofia argwöhnisch an. Die beiden gingen sich möglichst aus dem Weg. Auch wenn sie versuchten, freundschaftlich miteinander umzugehen, fühlten sie sich unwohl, und manchmal übertrug sich das auf das Team.
    Marco und die anderen versuchten ihrerseits zu vermeiden, dass die beiden gemeinsam an etwas arbeiten mussten. Es war offensichtlich: Pietro war immer noch verliebt in Sofia, wogegen diese zunehmend Widerwillen empfand.
    »Na schön«, hob Marco an, »in ein paar Tagen wird der Si cherheitsausschuss das Turiner Gefängnis besuchen. Wenn sie zu dem Stummen kommen, werden sie den Direktor, die Sozialarbeiterin und den Psychologen des Gefängnisses nach ihrer Meinung fragen. Und die drei werden einhellig beteuern, dass es sich um einen harmlosen kleinen Dieb handelt, der keine Gefahr für die Gesellschaft darstellt.«
    »Viel zu einfach«, bemerkte Pietro.
    »Nein, ist es nicht, denn die Sozialarbeiterin wird vorschlagen, dass er in ein spezielles psychiatrisches Zentrum kommt, wo die Ärzte feststellen sollen, inwieweit der Stumme in der Lage ist, ohne fremde Hilfe zu leben. Wir werden sehen, ob ihn

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