Die stumme Bruderschaft
Mann, der ungefähr in seinem Alter war und in Eulalius’ Diensten stand.
Kaiman wollte Priester werden. Er war der Enkel eines alten Freundes von Eulalius, und der Bischof hatte ihn in seine Obhut genommen.
Für Johannes war Kaiman die beste Informationsquelle geworden. Er erklärte ihm in allen Einzelheiten die Machtverhältnisse in Edessa, die Wechselfälle, denen die Stadt ausgesetzt war, die Intrigen am Palast.
Kaimans Vater war der königliche Hausdiener, und sein Großvater war Archivar am Hofe gewesen. Er hatte ursprünglich in die Fußstapfen seines Vaters treten wollen, aber Eulalius hatte großen Eindruck auf ihn gemacht, und so träumte er nun davon, Priester zu werden und, wer weiß, eines Tages vielleicht sogar Bischof.
Efren kam leise in das Zimmer von Johannes und Kaiman, die ihn nicht bemerkten. Ein paar Sekunden hörte er ihrem angeregten Gespräch zu, dann machte er sich durch ein leichtes Hüsteln bemerkbar.
»Ah, Efren! Hast du mich gesucht? Ich unterhalte mich gerade mit Johannes.«
»Nein, eigentlich habe ich nicht dich gesucht, aber jetzt, wo du es sagst: Wir müssen noch die heiligen Schriften durchgehen.«
»Du hast Recht, verzeih mir die Nachlässigkeit.«
Efren lächelte verständnisvoll und wandte sich an Johannes.
»Eulalius will mit dir sprechen, er wartet in seinem Arbeitszimmer auf dich.«
Johannes dankte ihm und machte sich auf den Weg. Efren war ein guter Mann, aber Johannes spürte, dass er ihn misstrauisch beäugte und sich in seiner Gegenwart nicht wohl fühlte. Er klopfte leise an die Tür und wartete, dass Eulalius ihn hereinrief.
»Tritt ein, Junge, ich habe schlechte Nachrichten.«
Der Bischof klang besorgt. Johannes wartete ab.
»Ich fürchte, wir werden bald von der Persern belagert werden. Wenn das geschieht, kannst du die Stadt nicht mehr verlassen, und dein Leben ist in Gefahr, genau wie das unsrige. Du bist schon einen Monat in Edessa, und ich weiß, dass du den Moment noch nicht für gekommen hältst, mir zu sagen, wo das Grabtuch unseres Herrn ist. Aber ich habe Angst um dich, Johannes, und um dieses Tuch. Wenn es stimmt, was du zu mir gesagt hast, dann rette das Tuch, und verschwinde sobald wie möglich aus Edessa. Wir dürfen nicht das Risiko eingehen, dass die Stadt zerstört wird und das Antlitz Christi für immer verloren geht.«
Eulalius sah die Unsicherheit in Johannes’ Blick. Er war nicht darauf vorbereitet, dass man ihm ein Ultimatum stellte, aber es ging nicht anders. Seit Johannes gekommen war, hatte er keine Ruhe mehr gefunden. Er fürchtete um dieses heilige Tuch. Manchmal hatte er Zweifel an seiner Existenz, aber der reine Blick des Jungen zerstreute sie.
»Nein! Ich kann nicht gehen! Ich kann das Grabtuch Christi nicht mitnehmen!«
»Beruhige dich, Johannes. Ich habe entschieden, dass es so das Beste ist. Du hast eine Frau in Alexandria, du kannst nicht länger bleiben. Wir wissen nicht, was aus dieser Stadt wird. Du bist der Hüter eines wichtigen Geheimnisses, und das musst du bleiben. Ich werde nicht von dir verlangen, dass du mir sagst, wo das Tuch ist. Sag mir nur, wie ich dir helfen kann, es zu retten.«
»Eulalius, ich muss bleiben, ich weiß, dass ich bleiben muss. Ich kann jetzt nicht gehen und das Tuch den Gefahren der Reise aussetzen. Ich musste meinem Vater schwören, Abgarus’, Thaddäus’ und Josars Willen zu erfüllen.«
»Johannes, du musst mir gehorchen«, tadelte ihn Eulalius.
»Nein, ich kann nicht, ich darf es nicht. Ich werde bleiben und mich Gottes Willen unterwerfen.«
»Und was ist der Wille Gottes?«
Die schwere müde Stimme von Eulalius traf Johannes wie ein Keulenschlag. Er sah den Bischof an und verstand plötzlich, welche Unsicherheit seine Ankunft und die phantastische Geschichte über das Grabtuch in ihm hervorgerufen haben mussten. Eulalius war großzügig und geduldig gewesen, aber jetzt drängte er ihn zu gehen. Die Entscheidung des Bischofs zwang ihn, sich der Wahrheit zu stellen.
Er wusste, dass sein Vater ihn nicht belogen hatte, aber was war, wenn man ihn getäuscht hatte? Wenn im Verlauf dieser vier Jahrhunderte seit der Geburt des Herrn sich jemand des Grabtuchs bemächtigt hatte? Wenn alles nur eine Legende war?
Der Bischof bemerkte, dass Johannes von seinen Gefühlen hin- und hergerissen war, und er hatte Mitleid mit ihm.
»Edessa hat Belagerungen, Kriege, Hungersnöte, Brände, Überschwemmungen überlebt … Und es wird auch die Perser überleben, aber du, mein Junge, musst dem
Weitere Kostenlose Bücher