Die stumme Bruderschaft
intelligenten und sympathischen Eindruck.«
»Ich freue mich, dass du sie magst. Vielleicht begegnet sie dir in Turin bei den Ermittlungen über das Grabtuch«, sagte Marco.
Sofia verzog erstaunt das Gesicht.
»Und weißt du, was Santiago mir gerade erzählt hat? Nun, Ana glaubt, dass der Schlüssel zu dem Ganzen in der Vergangenheit liegt.«
»Das war ja auch meine Theorie …«
»Das habe ich Santiago auch gesagt. Er wird uns den Bericht seiner Schwester zukommen lassen. Wir werfen einen Blick darauf, vielleicht hat die Journalistin ja einen guten Riecher.«
»Warum sprechen wir nicht mit ihr?«, fragte Sofia.
»Belassen wir es im Moment dabei«, sagte Marco nachdenklich.
»Es wäre nicht das erste Mal, dass die Polizei mit einem Journalisten zusammenarbeitet.«
»Ich weiß, aber ich möchte, dass die Angelegenheit auf unser Dezernat begrenzt bleibt, zumindest vorläufig. Wenn Ana etwas herausfindet, das uns nützt, sehen wir weiter.«
Lisa und John Barry kamen mit Paola ins Wohnzimmer. Marco umarmte John.
»Schön, dass du kommen konntest.«
»Ich komme gerade aus Washington. Du weißt ja, wie Chefs sind, und die vom State Department bilden da keine Ausnahme. Ich habe eine Woche sinnloser Meetings hinter mir. Vermutlich dienen die nur dazu, dass der eine oder andere sein Gehalt rechtfertigt.«
»Ihr wisst ja, dass man ihm vorgeschlagen hat, ihn nach London zu versetzen«, sagte Lisa.
»Wollt ihr das machen?«, fragte Paola.
»Nein, ich habe abgelehnt, ich möchte lieber in Rom bleiben. Das State Department sieht die Versetzung nach London als Aufstieg, und das wäre sie auch, aber ich möchte hier bleiben. Für euch bin ich ein Yankee, aber ich fühle mich als Römer.«
25
Guner bürstete Addaios schwarzen Anzug aus und hängte ihn in den großen Schrank im Ankleidezimmer; im Schlafzimmer ordnete er die Papiere, die auf dem Schreibtisch verteilt lagen, und stellte ein paar Bücher zurück ins Regal.
Addaio hatte bis spät in die Nacht gearbeitet. Der süßliche Geruch des türkischen Tabaks erfüllte das nüchterne Zimmer. Guner öffnete sperrangelweit das Fenster und sah ein Weilchen in den Garten hinaus. Er hörte Addaio nicht kommen.
»An was denkst du, Guner?«
Er drehte sich um und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
»An nichts Besonderes, es ist ein schöner Tag, da hat man Lust auszugehen.«
»Das kannst du tun, sobald ich weg bin. Du kannst die Gelegenheit nutzen und ein paar Tage bei deiner Familie verbringen.«
»Du gehst weg?«
»Ja, ich fahre nach Deutschland und Italien, ich will unsere Leute besuchen. Ich muss wissen, was schief läuft und wo der Verräter sitzt.«
»Das ist gefährlich, du solltest nicht fahren.«
»Ich kann sie nicht alle hierher bestellen, das wäre erst recht gefährlich.«
»Bestell sie nach Istanbul, die Stadt ist das ganze Jahr voller Touristen, dort würden sie nicht auffallen.«
»Alle werden nicht können. Es ist leichter, wenn ich zu ihnen fahre. Es ist beschlossene Sache. Morgen fahre ich.«
»Was sagst du den anderen?«
»Dass ich müde bin und ein paar Tage frei mache. Ich fahre zu guten Freunden in Deutschland und Italien.«
»Wie lange wirst du bleiben?«
»Eine Woche, zehn Tage, nicht mehr, also nutz die Zeit, und ruh dich ein wenig aus. In letzter Zeit bist du so angespannt und aggressiv. Warum?«
»Ich werde dir die Wahrheit sagen: Mir tun diese Jungen Leid. Die Welt hat sich verändert, und du tust, als ob alles so wie früher wäre. Du kannst nicht immer weiter junge Männer in den Tod schicken und ihnen die Zunge herausreißen, damit sie nicht reden können, und …«
»Wenn Sie reden würden, wären wir am Ende. Durch die Opfer und das Schweigen unserer Vorfahren haben wir zwanzig Jahrhunderte lang überlebt. Ja, ich fordere große Opfer, aber auch ich habe mein Leben geopfert, es hat nie mir gehört, genauso wenig wie dir deins. Für unsere Sache zu sterben, ist eine Ehre, und die Zunge zu opfern, auch. Ich reiße sie ihnen nicht aus, sie unterwerfen sich freiwillig diesem Opfer. Sie wissen, dass es unverzichtbar ist. Auf diese Weise schützen sie die anderen und sich selbst.«
»Warum treten wir nicht an die Öffentlichkeit?«
»Du spinnst! Glaubst du, wir würden überleben, wenn wir sagten, wer wir sind? Was ist los? Was für ein Teufel hat sich in deinem Kopf festgesetzt?«
»Manchmal glaube ich, der Teufel sitzt in dir. Du bist hart und grausam geworden. Du hast mit nichts und niemandem Mitleid. Ich glaube,
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