Die Stunde der Gladiatoren
sich um Dinge, die ihn nichts angingen, um Kinder, die mutterseelenallein am StraÃenrand hockten?
Er wusste es nicht.
»Hier soll sich mal einer auskennen«, grummelte Probus und sah sich Hilfe suchend um. »Nach Myrons Beschreibung müssten wir längst da sein.«
»Halb so wild«, antwortete Varro, machte eine beschwichtigende Geste und steuerte auf den Jungen zu. »Wir können ja jemanden fragen.«
Auf sich selbst konzentriert, würdigte ihn dieser zunächst keines Blickes. Stattdessen hantierte der Knabe an einer selbstgebastelten Schleuder herum, zielte auf einen Spatzen und zog den Lederriemen, in dem sich ein Kieselstein befand, bis zum Anschlag durch. Dann aber, offenbar aus Ãberdruss, lieà er die Waffe sinken.
Ohne ihn anzusprechen, blieb Varro stehen und lieà den Blick auf der schmächtigen Gestalt ruhen. Seine Haut war dunkel, dunkler, als es bei den Treverern üblich war. Das Gleiche galt für das Haar, gelockt, pechschwarz und allem Anschein nach kaum zu bändigen. Die Augen hingegen waren blau, die Stirn hoch, und der Blick, mit dem er Varro musterte, so abgeklärt, dass sich der Eindruck aufdrängte, er habe es mit einem Erwachsenen zu tun. »Kennst du dich hier aus?«, brach der Anwalt schlieÃlich das Schweigen, bemüht, einen freundlichen Ton anzuschlagen. »Ich glaube, mein Freund und ich haben uns verlaufen.«
Keine Antwort. Anstatt etwas zu erwidern, lieà der Junge den Blick auf Probus und danach auf dem sichtlich verdutzten Anwalt ruhen, gerade so, als habe er zum ersten Mal einen Mann mit einer weiÃen Toga gesehen.
»Hier, das ist für dich.« In seiner Not kramte Varro ein paar Kupfermünzen hervor und machte Anstalten, sie dem Jungen in die Hand zu drücken. Wie zuvor zeigte der jedoch keinerlei Reaktion. Mehr noch, er zog die Hand, welche auf seinem Knie ruhte, blitzschnell zurück. »Warum so abweisend? Vor mir brauchst du keine Angst zu haben.«
Weiterhin Schweigen.
»Antworte, oder bist du taub?«
»Muss das sein, Probus?« Um Schlimmeres zu verhüten, schob Varro den Medicus beiseite, ging in die Hocke und sah dem Jungen in die Augen. Es waren schöne Augen, blau wie ein Gebirgssee im Morgenlicht. »Wie gesagt«, flüsterte er, nachdem er Probus einen missbilligenden Blick zugeworfen hatte, »vor mir und diesem Hitzkopf von einem Medicus brauchst du keine Angst zu haben. Wir meinen es gut mit dir.«
»Wirklich?« Die Antwort kam ebenso schnell wie überraschend. »Ihr Erwachsenen seid doch alle gleich!«
»Findest du?« Varro erhob sich, steckte die Münzen wieder ein und trat beiseite, um ein mit Tuchballen beladenes Fuhrwerk passieren zu lassen. Dann wandte er sich erneut dem Jungen zu. »Ich fürchte, da muss ich dir widersprechen.«
Aufs Neue blieb dieser die Antwort schuldig, hob einen Stein auf und wog ihn in der Hand.
»Wie du willst.« Es war eine bewährte Finte, derer sich Varro bediente, erprobt vor allem im Umgang mit seinem Neffen, wenn dieser wieder einmal querzuschieÃen drohte. »Dann frage ich jemand anderen.«
»Schon gut â war nicht so gemeint.«
Varro unterdrückte ein Schmunzeln. »Kannst du mir sagen, wo ⦠wie heiÃt diese Frau doch gleich?«
»Merabaudis«, grummelte der Medicus, nicht gerade erbaut über den Rüffel, den er hatte einstecken müssen. »Beruf unbekannt.«
»Danke, Probus«, erwiderte Varro, machte eine spöttische Verbeugung und wandte sich wieder dem Jungen zu. »Kannst du mir sagen, wo eine Frau namens Merabaudis wohnt?«
»Merabaudis? So heiÃen hier viele.«
»Ich weiÃ. Aber nicht alle sind 24 Jahre alt, überaus hübsch und stammen aus Treveris.«
Der Junge erblasste, und die Gleichgültigkeit, welche er an den Tag gelegt hatte, war wie weggeblasen. »Was wollt ihr von ihr?«, fuhr er Varro an und schoss wie ein Pfeil in die Höhe. »Lasst sie in Ruhe, oder ich sage es meinem Vater!«
*
Die Insula, in der die Frau wohnte, gehörte zum sogenannten Töpferviertel, nur einen Steinwurf von der StraÃenkreuzung entfernt. Auch hier, unweit der Brückenthermen, bot sich Varro das gleiche Bild: Lehmhütten, vor denen zerlumpte Kinder spielten, Fachwerkhäuser, die kurz vor dem Einsturz waren, StraÃen, auf denen sich der Abfall häufte, Hinterhöfe, in die kein Sonnenstrahl fiel. Wohnhäuser
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