Die Stunde der Gladiatoren
Tiro?«, quiekte der Eunuch, in der Hoffnung, seine Haut doch noch retten zu können. »Was verlangst du von mir?«
»Eine Gefälligkeit, nichts weiter. Darf ich?« Der Oberhofmeister nahm die Papyrusrolle wieder an sich und deponierte sie in dem mit der Aufschrift âºsecretusâ¹ versehenen Regal. »Was ich verlange, fragst du? Als Erstes wirst du mir sämtliche Hintermänner nennen. Namen, Berufe, Herkunft und so weiter.«
»Und die Kaiserin?«
»Gut, dass du mich daran erinnerst, Chrysaphius! Du wirst nicht umhin kommen, mir die Namen all derer anzuvertrauen, mit denen deine Herrin in Kontakt gestanden ist. Besucher, Bittsteller, Vertraute â du weiÃt schon, wen ich meine.«
»Was hast du mit ihr vor, Tiro?«
»Darüber zu entscheiden, steht allein dem Imperator zu.«
»Und mit mir?«
»Mit dir?« Der Blick des Oberhofmeisters sagte mehr als viele Worte. Gerade eben noch ausdruckslos, sprühten seine Augen vor Hass. »Dir, mein Lieber, wird es vergönnt sein, den Schierlingsbecher zu leeren. Nicht gerade angenehm, ich weiÃ, aber besser, als in der Arena zerfleischt zu werden!«
âºGewöhnlich verachten Angehörige der römischen Oberschicht einen Sklaven oder Kriegsgefangenen â nur nicht in der Arena. Dort bewundern sie ihn. Ãber das Geschick der erfolgreichen Gladiatoren diskutieren die Römer in den StraÃen, Dichter besingen sie, spielende Kinder stellen ihre gröÃten Heldentaten nach. Und manche Dame der römischen Gesellschaft ist »dem blanken Stahl« verfallen, wie Juvenal beobachtet, und zieht das Rendezvous mit einem Gladiator »dem Vaterland, der Schwester und dem Gatten« vor.â¹
(Aus: GEO EPOCHE Nr. 54, S. 53)
LIBER QUARTUS
XXIII
Töpferviertel, eine Viertelstunde später
[17:40 h]
Der Junge fiel Varro sofort auf. Er war höchstens sieben, trug eine verschlissene Tunika und saà einsam und verlassen an der StraÃenkreuzung, auf die Probus und er zusteuerten. Im Moment, zwei Stunden vor Sonnenuntergang, herrschte dort dichtes Gedränge, und es schien, als nehme kein Mensch Notiz von ihm.
Der Anwalt verlangsamte seinen Schritt. Herumtreiber, Bettler und Kinder, um die sich niemand kümmerte, waren keine Seltenheit. Hier, eine halbe Meile vom Forum entfernt, traten sie jedoch in Massen auf. Schmutz und Elend waren allgegenwärtig, und wer nicht aufpasste, war seine Geldbörse los. Statt Villen, die es nördlich des Decumanus dutzendweise gab, traf man auf heruntergekommene Mietskasernen, statt Prachtbauten auf Lehmziegel, enge Gassen und den Geruch, der aus den Tuchwalkereien ins Freie drang. Leute wie Varro, die über die Geschicke der Stadt bestimmten, traf man hier selten, dafür aber Fuhrleute, Eseltreiber, Lastenträger, Lumpensammler, Sackträger und all jene, die von der Hand in den Mund lebten. Die Werkstätten der Färber grenzten an Wollwäschereien, Gerbereien an Imbissstuben, Hinterhöfe, auf denen Matten geflochten wurden, an Mietställe, aus denen einem der Geruch von Pferdemist entgegenwehte.
Besonders streng, um nicht zu sagen infernalisch, roch es jedoch vor den Tuchwalkereien. Kein Römer, der etwas auf sich hielt, würde in einen der steinernen Bottiche steigen, gefüllt mit Wasser, Walkerde, Soda und Urin. Das sah nicht nur nach Schwerstarbeit aus, das war es auch, eine Plackerei, bei der hauptsächlich Sklaven eingesetzt wurden. Das roch nicht nur, das stank zum Himmel.
Ãberhaupt â der Gestank. Und dazu dieser Lärm, der zwischen den Häuserwänden hin und her wogte. Das Rumpeln der Wagenräder, das Geschrei der Fischverkäufer, das Gebell der Hunde, das Gezänk zweier Matronen, die einander mit Schimpfwörtern überhäuften und nicht zuletzt auch die Lockrufe zweier Liebesdienerinnen, die vor einem Lupanar auf Kundschaft warteten. Varro seufzte gequält. Anstatt einen Fall zu lösen, der sich als äuÃerst kompliziert erwies, hätte er jetzt in seinem Studierzimmer sitzen, die Annalen des Tacitus studieren und an seiner Kriminalgeschichte arbeiten können. Warum, in der Götter Namen, tat er sich das an? Warum hetzte er kreuz und quer durch Treveris und legte sich mit Leuten an, denen man besser aus dem Weg ging? Weshalb arbeitete er an einem Fall, bei dem man keine Lorbeeren ernten, dafür aber jede Menge Scherereien einheimsen konnte? Und warum kümmerte er
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