Die Stunde Der Woelfe
sich damit abzufinden, sich um die ehrenhafteste Lebensweise zu bemühen, zu der man trotz aller Umstände fähig ist. Glaubst du an einen Gott, der Verständnis hat und vergibt, oder an einen, der es nicht tut? Letzten Endes ist es eine Sache zwischen dir und Gott, und das wirst du selbst lösen müssen.«
»Das ⦠das klingt okay. Danke. Danke, dass du dich mit mir unterhalten hast.«
»Gern geschehen.«
Um vier Uhr morgens fing die nächste Schicht an. Ich ging nicht direkt nach Hause und ins Bett, obwohl ich zitterte. Das ganze Reden hatte mich viel Kraft gekostet. Nach einer Spätschicht traf ich mich immer mit T.J. auf einen Kaffee in dem Diner ein paar Häuser weiter. Dort wartete er gewöhnlich auf mich.
Er war nicht da, doch ich bestellte einen Kaffee, und als der kam, traf T.J. ebenfalls ein.
Seine Körperhaltung war lässig, er trug eine Secondhand-Armyjacke und warf jedem einzelnen Anwesenden einen Blick zu. Mich sah er erst an, als er sich zu mir in die Sitzgruppe gleiten lieÃ.
»Hey Kitty.« Mit einem Wink bestellte er bei der Kellnerin einen Kaffee. Der Himmel drauÃen war grau und wurde dank der aufgehenden Sonne immer fahler. »Wie lief deine Schicht?«
»Du hast es dir nicht angehört?« Ich versuchte, nicht enttäuscht zu klingen, obwohl ich gehofft hatte, mit ihm darüber sprechen zu können.
»Nein, tut mir leid. Ich war unterwegs.«
Ich schloss die Augen und atmete tief und lautlos ein. Fett, Zigarettenrauch, Mundgeruch und angespannte Nerven. Meine Sinne nahmen alles auf, jede noch so kleine Nuance. Aber am stärksten drang, genau von der anderen Seite der Sitzgruppe, der erdige Geruch von Wald, feuchter Nachtluft und Pelz zu mir herüber. Ein leichter Hauch von Blut führte dazu, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten.
»Du bist gerannt. Du hast Wolfsgestalt angenommen«, sagte ich mit einem Stirnrunzeln. Er sah weg, senkte den Blick. »Mann, wenn du das weitermachst, wirst du noch komplett durchdrehen â¦Â«
»Ich weiÃ, ich weiÃ. Ich stehe schon knapp davor. Es ist nur ⦠es fühlt sich so gut an.« Sein Blick schweifte in die Ferne, wurde leer. Ein Teil von ihm befand sich immer noch in dem Wald und tobte sich in seinem Wolfskörper aus.
Verwandeln mussten wir uns nur in Vollmondnächten. Aber wir konnten es tun, wann immer wir wollten. Manche taten es so oft wie möglich, die ganze Zeit über. Und je öfter sie die Gestalt wechselten, desto weniger menschlich wurden sie. Sogar als Menschen bildeten sie Rudel, lebten zusammen, nahmen Wolfsgestalt an und gingen zusammen auf die Jagd, wobei sie allmählich sämtliche Bande zur Welt der Menschen zerrissen.
Je mehr sie sich verwandelten, umso schwieriger wurde es, dies nicht zu tun.
»Begleite mich das nächste Mal. Morgen.«
»Vollmond ist erst wieder in einer Woche«, sagte ich.
»Ich gebe mir verdammt groÃe Mühe, nicht auszuticken. Ich bin gerne Mensch.«
Er sah weg, pochte mit der Gabel auf den Tisch. »Du bist wirklich nicht für dieses Leben geschaffen, weiÃt du?«
»Ich komme schon klar.«
Mit diesen Worten klopfte ich mir selbst auf die Schulter, weil ich im Laufe der letzten beiden Jahre, seitdem der Angriff mich verwandelt hatte, nicht komplett verrückt geworden war. Und weil ich mir nicht sämtliche Glieder von anderen Werwölfen hatte ausreiÃen lassen, in deren Augen ein süÃes junges Ding wie ich leichte Beute war. AuÃerdem gelang es mir sogar, zumindest den Schein eines normalen menschlichen Lebens aufrechtzuerhalten.
Wenn man es sich recht überlegte, war es kein sonderlich beeindruckendes Dasein. Ich hatte einen rapide veralternden Bachelor-Abschluss von der CU, ein heruntergekommenes Einzimmerapartment, einen unbedeutenden Job als DJ, mit dem sich kaum die Miete bezahlen lieÃ, und keinerlei Zukunftsperspektiven. Manchmal klang es ziemlich verlockend, einfach in die Wälder zu laufen und nie mehr zurückzukommen.
Vor drei Monaten verpasste ich die Geburtstagsfeier meiner Mutter, weil sie mit einer Vollmondnacht zusammenfiel. Ich konnte nicht dort sein und im Vorstadthaus meiner Familie lächeln und gesellig sein, während meine Wolfsseite kurz davor stand, sich loszureiÃen und durch den letzten Rest meiner Selbstbeherrschung zu nagen. Also lieà ich mir eine Ausrede einfallen, und Mom versicherte mir, sie habe
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