Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
ab, um meinen Rucksack und die Bücher, die er mir gegeben hatte, zu holen. Und um mein flammend rotes Gesicht zu verbergen.
»Ich kann’s nicht versprechen, aber vielleicht morgen. Hoffentlich liest du schnell.«
Ich öffnete die Wagentür. Ich musste raus, wollte Abstand zwischen uns schaffen. »Klar. Schneller als der Blitz. Trotz allem…« Ich ließ den Finger neben meiner Schläfe kreisen. »Ich hab beim Lesewettbewerb immer gut abgeschnitten.« Ich schlug die Tür zu. »Meist war ich unter den drei Besten.«
»Lustig, umwerfend und genial. Was für eine Kombination.« Er setzte zurück und fuhr lächelnd davon.
Ich freute mich, dass er »verrückt« nicht auf die Liste gesetzt hatte.
18. KAPITEL
D er Ordner, den Michael mir gegeben hatte, war prallvoll mit detaillierten Informationen. Nach einer halben Stunde konzentrierten Lesens verschwammen die Buchstaben vor meinen Augen. Ich lechzte nach Koffein und Zucker und warf die Kaffeebohnen, die ich im Murphy’s Law stibitzt hatte, in den Automaten.
Statt beim Aufbrühen zuzuschauen, machte ich mich nützlich und räumte alle Zettel und Papiere von der Anrichte. Ich pinnte kleine weiße Kärtchen mit Arztterminen an die Korktafel, warf alte Zeitungen weg und sammelte ungeöffnete Rechnungen. Ich hatte gerade die Arbeitsflächen mit Reiniger eingesprüht und abgewischt, als der Piepton der Maschine meldete, dass mein Kaffee fertig war. Als ich die Sprayflasche unter die Spüle stellen wollte, entdeckte ich etwas auf dem Fußboden.
Drus Schlüsselring.
Die Schwangerschaft machte Dru vielleicht ein bisschen vergesslich, denn es war sonst nicht ihre Art, irgendetwas zu verbummeln. Und jetzt lag ihr Schlüsselbund einschließlich Generalschlüssel vor mir auf dem Boden.
Durch Zufall.
Oder war es Schicksal?
Ich wollte mehr über Michael wissen. Thomas und Dru würden erst frühestens in einer Stunde nach Hause kommen, und Michael war weggefahren, also warum sollte ich nicht kurz nach nebenan gehen und mich ein wenig umschauen? Vielleicht hatte Michael eine Kerze brennen lassen. Oder er hatte vergessen, den Herd oder das Bügeleisen abzuschalten. Vielleicht lief die Spülmaschine noch und setzte alles unter Wasser, oder irgendeine trockene Pflanze brauchte dringend Wasser.
Vielleicht war ich vollkommen übergeschnappt.
Ich schwang den Schlüsselring hin und her, ja oder nein, ja oder nein. Plötzlich läutete das Telefon und setzte meinen Überlegungen ein jähes Ende. Drus Stimme hatte noch nie so gestresst geklungen.
»Gott sei Dank bist du zuhause, Em. Ich hab mir Michaels Handynummer nicht notiert, und die Männer vom Lager wollen gleich den Generalschlüssel abholen und sein Sofa aufstellen. Und jetzt geht er nicht ans Telefon, und ich hab die Schlüssel nicht, weil ich sie heute Morgen nicht finden konnte. Ich muss sie wohl …«
»Beruhige dich«, sagte ich lachend. »Ich hab deine Schlüssel.«
»Gott sei Dank«, seufzte sie erleichtert. »Könntest du die Möbelpacker reinlassen?«
Mit meinem Grinsen hätte ich dem Grinch Konkurrenz machen können. »Ja, klar. Kein Problem.«
Die Möbelpacker hatten ihre Arbeit schnell erledigt. Um einen längeren Aufenthalt in Michaels Wohnung zu rechtfertigen, machte ich mich auf die Suche nach irgendwelchen Pflanzen, die vielleicht Wasser brauchten.
Obwohl er erst seit ein paar Tagen hier wohnte, roch die Wohnung schon nach Michael. Sauber, wie frischgewaschene Wäsche von der Leine, mit einem Hauch von etwas anderem, von Pheromonen vielleicht. Der Zitrusduft seines Rasierwassers stieg mir in die Nase, und ich vergaß beinahe, weshalb ich hergekommen war.
Konzentrier dich. Du wolltest doch spionieren.
Dru hatte Michaels Wohnung mit Möbelstücken aus ihren Lagerbeständen ausgestattet, und das Design war schlicht und schnörkellos. Es passte zu seiner Persönlichkeit. Die einzige Ausnahme war ein kompliziert aussehender Computer. Als ich mit der Hüfte gegen den Schreibtisch stieß, erschien der Hinweis, dass der PC passwortgeschützt war.
Jede Wohnung verfügte über eingebaute Bücherregale, auf denen sich bei Michael hauptsächlich moderne Dekorationsgegenstände befanden, freundliche Leihgaben von Dru. Zwei enthielten persönliche Dinge. Auf dem ersten stand ein Gedichtband von Byron sowie Romane von Kurt Vonnegut, Orson Scott Card und Jack Kerouacs Unterwegs . Mir fiel ein, dass ich ihn noch gar nicht nach seinem Hauptfach gefragt hatte. Nach Zeitreisen sah es jedenfalls nicht aus. So
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