Die Stunde des Löwen
Selma Tassen so plötzlich aus der Apotheke brauchte. In der am Eschenheimer Turm und in denen rund um die Hauptwache konnte man sich zwar nicht an sie erinnern. Das muss aber nicht bedeuten, dass sie nicht trotzdem dort gewesen ist.«
*Â *Â *
In der Carl-Benz-StraÃe, etwa auf Höhe des Cocoon Clubs, schaltete Fremden das Radio ein. Auf HR3 brachten sie gerade eine Meldung über den Mord an einer über Siebzigjährigen. Der Radiosprecher wusste zu berichten, dass dem Opfer, einer gebürtigen Norwegerin, in einem Hotelzimmer am Flughafen das Genick gebrochen worden war. Und dass es bislang weder Anhaltspunkte für ein Sexualdelikt noch für Raubmord oder ein anderes Motiv gab.
Genickbruch, dachte Fremden und versuchte, sich das krachende, den gesamten Körper durchdringende Geräusch vorzustellen. Als er an einer Ampel auf der Hanauer LandstraÃe anhalten musste, klingelte auf dem Beifahrersitz sein Handy.
»Vera Kaczorowski«, meldete sich eine raue und tiefe Frauenstimme. »Ich soll Sie anrufen.«
Das rote Licht der Ampel im Visier, versuchte er in Windeseile, sein Gedächtnis nach dem Namen zu durchforsten.
»Sind Sie noch dran?«, hörte er die Stimme fragen.
»Natürlich«, antwortete er verunsichert.
»Sie sind doch Jonas Fremden? Der private Ermittler, der Leuten seine Karte unter der Tür durchschiebt?«
Jetzt hatte er es. Das Haus am See. Aufgeschichtete Stere Holz im Unterstand und ein Besen neben der Eingangstür.
»Verzeihen Sie bitte. Ich war gerade in Gedanken. Aber schön, dass Sie sich so schnell melden.«
»Was wollen Sie denn von einer alten Frau wie mir?«
»Ich ermittle im Todesfall Hugo Bruckner.«
»Da sind Sie aber spät dran.«
Beim Anfahren erläuterte er Vera Kaczorowski, weshalb er die Ermittlungen aufgenommen hatte und welche Art Auskunft er sich von ihr erhoffte.
»Ob ich am Unglückstag etwas von meinen Nachbarn mitbekommen habe?«, wiederholte sie seine letzte Frage.
»Richtig. Das interessiert mich am meisten.«
»Natürlich habe ich das.«
»Und was?«
»Nicht so eilig mit den jungen Pferden. Weià ja nicht, ob ich Ihnen trauen kann.«
»Und wie wollen Sie das herausfinden?«
»Indem ich Ihnen tief in die Augen sehe.«
»Aber â¦Â«, setzte Fremden an, sprach jedoch nicht weiter.
»Am besten, Sie reiten durch den dunklen Wald zu mir hinaus.«
»Wann wäre es Ihnen denn recht?«, erkundigte sich Fremden, irritiert über die ungewöhnliche Wortwahl.
»In einer guten halben Stunde. Aber passen Sie auf, dass Sie in keine Falle geraten.«
Es war bereits dunkel, als er Kahl erreichte. Nicht wissend, welche Abzweigung von der BundesstraÃe direkt zu Vera Kaczorowski führte, wählte er dieselbe wie am Vortag. Nach dem Ãffnen des Schlagbaums lieà er den Wagen im Schritttempo über den Waldweg rollen. Am See angekommen, parkte er ihn vor dem Feriendomizil der Bruckners. Den Lichtschein des Hauses am östlichen Ufer vor Augen, stapfte er durch den knöcheltiefen, harschigen Schnee.
Ein muffiger Geruch stieg ihm in die Nase, als Vera Kaczorowski ihn an der Tür begrüÃte. Von Körperpflege schien seine Gastgeberin nicht sonderlich viel zu halten. Auf der Gesichtshaut der Frau lag ein gräulicher Schatten, und die fettigen silbrigen Haare trug sie im Nacken zu einem Knoten gebunden. Ihren voluminösen Leib verbarg sie in einer Kombination aus bunt gemusterter Kittelschürze und offen stehender Strickjacke. Darunter trug sie eine Art Trachtenrock, der mit gestickten Hirschkopfmotiven verziert war.
»Als Hugo Bruckner in den See stürzte«, sagte Fremden, während er in dem ihm angebotenen Schaukelstuhl Platz nahm, »haben Sie eine wichtige Beobachtung gemacht.«
Kopfschüttelnd schlurfte Vera Kaczorowski zu dem Bollerofen in der Ecke neben der Tür. Von der gusseisernen Platte nahm sie eine Metallkanne und verteilte eine dampfende Flüssigkeit auf zwei Tassen. Er solle sich erst einmal aufwärmen und nicht gleich solchen Unsinn verzapfen, brummte sie und reichte ihm eine der Tassen.
Vorsichtig kostete er einen Schluck von dem Kräutertee. Ein siedend heiÃes Gebräu, das nach Latschenkiefer und Anis duftete und scheuÃlich schmeckte.
Als er die Tasse absetzte, sagte Vera Kaczorowski mit einem Lächeln auf den Lippen: »Sie arbeiten also für die da
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