Die Stunde des Löwen
dem Umstand der schon wieder streikenden Batterie seines Wagens geschuldet war. Nur dass er diesmal niemanden zum Ãberbrücken gefunden hatte und deshalb auf öffentliche Verkehrsmittel hatte ausweichen müssen.
Die Obduktion von Selma Tassen war für acht Uhr angesetzt gewesen. Im Laufschritt stürmte er in die Jugendstilvilla, deren baulicher Charme nur bis zur Eingangstür über das wenig ästhetische Geschehen hinwegtäuschen konnte, das sich für gewöhnlich im Inneren abspielte.
Einen dumpfen Verwesungs- und Leichengeruch in der Nase, meldete er sich beim Pförtner an, der ihn an Professor Dr.  Ferdinand Bloch verwies und ihn in den groÃen Sektionssaal im Untergeschoss schickte.
Als er dort eintraf, war die Obduktion schon in vollem Gange. Selma Tassens Leichnam lag rücklings auf einem metallenen Seziertisch. Kopf, Brust und Bauchhöhle waren geöffnet. Auf einem Rollentisch unweit der Kühlfächer befand sich eine Ansammlung von Metallschalen, die mit blutdurchtränktem menschlichem Gewebe gefüllt waren. Am Kopfende des Tisches standen zwei Rechtsmediziner in grünen Kitteln. Auf Professor Blochs aufforderndes Nicken hin nahm er sich einen der grünen Kittel und Latexhandschuhe vom Wandhaken. Nachdem er sich beides übergestreift hatte, stellte er sich zu Mannfeld ans FuÃende des Seziertischs.
Nach einer guten halben Stunde legte Professor Bloch das Skalpell beiseite. Zeit, eine Pause einzulegen, befand er, und als sich sein Assistent zum Rauchen nach drauÃen aufmachte, bat er sie, ihm in den Nebenraum zu folgen.
»Auf groÃe Ãberraschungen brauchen Sie sich nicht gefasst zu machen«, schickte Professor Bloch vorneweg, während er Kaffee einschenkte. »Der körperliche Zustand des Opfers war einwandfrei. Vom gesundheitlichen Gesichtspunkt aus hätte sie noch viele Jahre leben können.« Er nahm seine randlose Brille von der Nase und begann, die Gläser mit einem Kleenex-Tuch zu säubern. »Erwähnenswert«, fuhr er fort, nachdem er die Brille wieder aufgesetzt hatte, »sind die zahlreichen Schönheitsoperationen, die sie hat durchführen lassen. Angefangen beim Aufpolstern der Lippen und leichten Faceliftings bis hin zum Einsetzen von Silikonimplantaten in die Brüste. Um mal nur ein paar der Eingriffe aufzuzählen.«
»Und was können Sie uns über die Todesursache und das Tatgeschehen sagen?«, erkundigte sich Mannfeld.
»Die Frau ist durch einen Genickbruch gestorben«, antwortete Professor Bloch und fügte ergänzend an, dass der Bruchwinkel des Halswirbels darauf schlieÃen lieÃ, dass der Täter leicht erhöht hinter dem Opfer gestanden hatte und von kräftiger Statur sein musste.
»Und der Todeszeitpunkt?«
»Den konnten wir ziemlich genau eingrenzen. Die vom Kollegen Neubauer am Tatort gemessene Körpertemperatur des Opfers in Bezug zur Raumtemperatur im Hotelzimmer gesetzt, dürfte der Tod zwischen einundzwanzig und zweiundzwanzig Uhr eingetreten sein.«
»Hatte die Frau, bevor sie starb, Sex?«, schaltete sich Born ins Gespräch ein.
Professor Bloch schaute ihn über seine Brille hinweg an. »Den Ergebnissen der oralen, vaginalen und analen Abstriche nach deutet nichts darauf hin. Dafür hat sie aber kurz vor ihrer Ermordung feudal gespeist. Der GroÃteil des Mageninhalts war noch nicht verdaut. Champagner, Teigfladen und jede Menge Kaviar. Der Farbe und Körnung nach handelt es sich wahrscheinlich um Osietra-Kaviar. Das tippt zumindest Dr.  Neubauer. Und der liebt Kaviar über alles.«
*Â *Â *
Von auÃen verriet nur ein dezentes Messingschild neben dem Tor zur Einfahrt, dass im Erdgeschoss der Gründerzeitvilla die Konzertagentur Rosen residierte. Fremden hatte die Adresse in der Freiherr-vom-Stein-StraÃe auf dem Rückweg vom Baumarkt in einem Internetcafé in Erfahrung gebracht. Zuerst hatte er erwogen, Liliana Bode anzurufen und sie zu bitten, auch diese Recherche für ihn am Laptop ihres Mitbewohners zu übernehmen. Doch dann war ihm die Idee, sie unter solch einem fadenscheinigen Vorwand zu kontaktieren, zu plump erschienen.
Noch bevor er klingeln konnte, öffnete sich die Eingangstür der Villa. Eine etwa siebzigjährige Frau mit einem auffallend ausladenden Hinterteil trat ins Freie. Ihr folgte ein gleichaltriger Mann, in dem Fremden sofort den Jäger auf dem Foto seines Onkels erkannte
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