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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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eher verschlossenen Persönlichkeit eine eigene Profilseite besitzen könnte, war ihm während der Fahrt in der U-Bahn gekommen. Vielleicht gelangte er ja übers Netz an Informationen zu sozialen Kontakten, die das Opfer gepflegt hatte. Doch als er ihren Namen ins Suchfeld eingab, erschien kein passender Eintrag.
    Dafür aber poppte plötzlich ein Fenster mit einer Nachricht von Udo auf. Ob er noch das KT auf dem Schirm habe? » KT « bedeutete in diesem Zusammenhang nicht »Kriminaltechnik«, sondern »Klassentreffen«. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, starrte Born auf den Monitor. Mit seinem Schulfreund Udo als Banknachbarn hatte er die gesamte Gymnasialzeit verbracht. Am Wochenende traf sich der Abi-Jahrgang zum Zehnjährigen in Michelbach. Irgendeiner der Odenwälder Nasen würde garantiert ein Fotoalbum mit alten Bildern anschleppen. Die Gesichter der Klassenkameraden vor seinem geistigen Auge, fragte er sich auf einmal, was aus Manu geworden war. Eine in die breite gegangene vielfache Mutti und Hausfrau? Oder war sie noch das kokette, rattenscharfe Luder, als das er sie in Erinnerung hatte?
    * * *
    Als er sich aufrichtete, spürte er den Schmerz in den Knien. Wundern durfte ihn das nicht. War er doch über eine halbe Stunde auf allen vieren über den Boden gekrochen, um die Baufolie auf die Dielen zu kleben. Mit Blut durfte das Holz nicht in Berührung kommen.
    Zufrieden mit seinen Vorkehrungen, legte er das Kreppband zur Seite und betrachtete das etwa fünfzehn Quadtratmeter große blaue Rechteck in der Mitte seines Wohnzimmers. Um später nicht ihren Argwohn zu wecken, rollte er den Teppich über die präparierte Fläche. Nach der Tat würde er den Kelim samt Baufolie entsorgen.
    Er wischte sich mit dem Ärmel seines Sweatshirts den Schweiß von der Stirn und ärgerte sich, dass die Treffen mit ihr immer in seiner Wohnung stattfinden mussten. Und dass Madame darauf bestand, dass er Kerzen im Raum verteilte – und Dutzende roter Grablichter, der mystischen Atmosphäre wegen.
    Nachdem er das Zimmer in ein flackerndes Lichtermeer verwandelt hatte, löschte er die Deckenbeleuchtung. Den Küchentisch und die beiden Stühle stellte er auf den Kelim. Auch diesmal würde es an einem Tisch geschehen. Nur würde er der Betroffenen heute von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen.
    Als Nächstes ordnete er auf der Tischplatte die sechsundzwanzig Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge zu einem Kreis. Das leere Wasserglas stellte er mit der Öffnung nach unten in dessen Mitte.
    Nun war es an der Zeit, die letzte Vorkehrung zu treffen. In der Abstellkammer musste er erst eine Weile suchen, bis er den Werkzeugkasten gefunden hatte. Ihm entnahm er einen Hammer, den er mit mehreren Streifen Kreppband unter der Tischplatte im Wohnzimmer befestigte.
    Erleichtert, alles am nötigen Platz zu wissen, stellte er sich mit einer Zigarette ans offene Fenster. Die schmale Sichel des Mondes strahlte ein fahles Licht in den Abendhimmel. Der Geruch von Tauwetter lag in der Luft. Doch schon für die Nacht war neuer Schneefall vorhergesagt.
    Dem sich verflüchtigenden Zigarettenrauch hinterherblickend, dachte er an die Zeit auf der MS Merdiva. Geraucht hatte er damals noch nicht. Beinahe täglich hatte er im Fitnessstudio trainiert und seinen Körper auch sonst in Schuss gehalten: auf gesunde Ernährung geachtet, sich einen akkuraten Haarschnitt geleistet und regelmäßig die Sonnenbank besucht. Ihm war schon früh bewusst gewesen, dass ein gepflegtes Äußeres für einen wie ihn ein unschätzbares Kapital bedeutete. Mit Leichtigkeit war er in die Rolle des Traumschifftyps geschlüpft, was ihm manch schnelles Abenteuer beschert hatte. Er wusste eben, was Frauen begehrten und in heimischen Betten nicht geboten bekamen, weil sie sich schämten, den Ehemännern ihre wahren Wünsche kundzutun. An Bord hatte er die verrücktesten Dinge erlebt. Beispielsweise die Ménage-à-trois mit Maike und Ilka. Mutter und Tochter, die sich den Luxus gönnten, in Einzelkabinen zu reisen, während der Ehemann und Vater in Detmold in seinem Büro schmorte. Eine Kreuzfahrt als Belohnung zum Einserabitur. Während er Maike in der Dusche nahm, beschwor sie ihn, dass Töchterchen Ilka nie von dem Tête-à-Tête erfahren dürfe. Zur Wahrung des Familienfriedens. Tags darauf wurde ihm bei ähnlicher

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