Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
Vom Netzwerk:
Gelegenheit der Wunsch nach Verschwiegenheit auch von der Tochter angetragen. Die allerdings fürchtete um den jungfräulichen Ruf, den sie bei ihren Eltern fälschlicherweise genoss.
    Ein jähes Ende fanden seine amourösen und nicht selten auch lukrativen Eskapaden, als er vom ersten Offizier beim Verlassen der Kabine einer Estin erwischt wurde. Die Kündigung erfolgte prompt. Einige Monate lang bewarb er sich vergeblich bei anderen Reedereien. Als schließlich sein Erspartes zur Neige gegangen war, hatte er sich doch noch bei Hugo Bruckner gemeldet. Der engagierte ihn als Chauffeur, womit er seinem Versprechen treu blieb, dass es sich bei der Job-Offerte nicht um Leichenwaschen handelte. Doch reizvoll, wie er auf dem Vorplatz des Basars getönt hatte, war die Arbeit trotzdem nicht. Immerhin hatte er aber in Kronberg im alten Gesindehaus der Villa logieren dürfen. Ein herrschaftliches Anwesen, das in ihm die Frage aufwarf, ob das Bestattungsunternehmen tatsächlich so viel Gewinn erwirtschaftete, dass sich die Familie das Leben in solch einer protzigen Immobilie leisten konnte. Den in den USA lebenden Sohn hatte er während dieser Zeit nicht einmal zu Gesicht bekommen. Was daran lag, dass Klaus Bruckner so gut wie nie seine Heimat besuchte. Stattdessen war eben er des Öfteren von Amelie Bruckner zum Essen eingeladen worden. Regelmäßig auch zu den Weihnachtsfesten, an denen er seinem Chef Hochprozentiges und der Dame des Hauses etwas Hübsches für ihr lichtdurchflutetes Atelier schenkte.
    Nachdem er ein letztes Mal daran gezogen hatte, schnipste er die halb fertig gerauchte Zigarette aus dem Fenster. Er drehte sich um und blickte auf den Kelim, der die Baufolie bedeckte. In nicht einmal einer Stunde würde sie hier sein.

SECHS
    Das laute Piepen des Weckers riss Samuel Kohlberger aus dem Schlaf. Während er in absoluter Dunkelheit nach dem kleinen Kasten auf dem Nachttisch tastete, fragte er sich, warum er sich jeden zweiten Morgen dieser Tortur unterzog. Nur um seine zahlreichen Wetten zu gewinnen? Oder ging es in erster Linie darum, sich selbst zu beweisen, dass er das Zeug zum Ironman besaß?
    Als Anne mit den Kindern zu ihrem Neuen nach Heilbronn gezogen war, hatte er Herausforderungen gesucht und diese im Sport gefunden.
    Seitdem hatte er vier Marathonläufe absolviert und an der Weihnachtsfeier letztes Jahr, beflügelt von einigen Mispelchen, diese idiotische Wette abgeschlossen. Aber da er kein Schwanzeinzieher war, hatte er sich im Frühjahr einen Neoprenanzug zugelegt und im Baggersee mit dem Schwimmtraining begonnen. An den Wochenenden unternahm er auf seinem Carbon-Rennrad kräftezehrende Touren in den Taunus, die Wetterau und manchmal sogar bis hinaus in den Spessart.
    Müde taumelte er ins Bad, wo er sich die Zähne putzte und sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht spritzte. Dann legte er den Brustgurt des Pulsmessers an und schlüpfte in die Funktionsunterwäsche und in die angeraute Thermolaufkombination mit den Leuchtstreifen. Wangen und Nase cremte er dick mit Vaseline ein. Sein Frühstück, einen fruchtig-süß schmeckenden Energieriegel, aß er im Stehen vor dem Kühlschrank. Schließlich blieb ihm nur noch, Mütze und Joggingschuhe anzuziehen und die Stirnlampe umzuschnallen, bevor er durch das nach Bohnerwachs riechende Treppenhaus nach draußen trat.
    Eine dünne Schicht Neuschnee bedeckte Straßen und Häuser. Zu dieser Tageszeit waren in Seckbach nur wenige Fahrzeuge unterwegs. Bis zur Abzweigung zum Atzelberg begegneten ihm auf der lang gezogenen Hauptstraße lediglich zwei Lieferwagen und ein Taxi. Vor den Hochhäusern traf er auf den serbischen Zeitungsausträger. Im Vorbeilaufen wünschte er dem Mann einen Guten Morgen.
    Den Pulsmesser an seinem Handgelenk kontrollierend, stellte er fest, dass seine Herzfrequenz zu niedrig war. Mit erhöhtem Tempo ging er die Steigung an und spürte, wie sich sein Körper trotz der eisigen Außentemperatur aufheizte. Auf einmal drängte sich eine Vision von frühmorgendlichem Sex in sein Bewusstsein. Während er die Häuser hinter sich ließ, fragte er sich, wann endlich wieder eine Frau in sein Leben treten würde.
    Am Eingang des Huthparks traf er die ersten Gassigeher. Frei laufende Hunde und die damit verbundene Gefahr, Opfer exkrementaler Tretmienen zu werden, zwangen ihn, verstärkt auf den Weg zu achten. Nachdem er ein Stück die

Weitere Kostenlose Bücher