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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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aus Fleisch, Fett und Knochen wahrscheinlich haltlos in sich zusammensacken.
    Die schwarze Strumpfhose war am rechten Bein zerrissen. Den Hals schmückte eine auffällige großgliedrige silberne Kette mit einem Druidenfuß. Darüber hinaus war die Frau nur mit einem schwarzen Kleid mit Rüschenbesatz an Saum und Ärmeln bekleidet. Einen Mantel hatte sie keinen an.
    Als Born die durch seine Ledersohlen kriechende Kälte nicht mehr länger ertragen konnte, richtete er sich auf und stampfte ein paarmal kräftig mit den Füßen auf den Boden. Dabei ließ er seinen Blick über das am Fuße des Lohrbergs liegende Meer an Häusern schweifen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo die Grenze zwischen Frankfurt und Offenbach verlief.
    Mannfeld tauchte an seiner Seite auf. Die letzten Minuten hatte sie bei Michalchewski verbracht, dem Leiter der kriminaltechnischen Abteilung. »Der Kleidungsstil der Toten geht in Richtung Gothic«, sagte sie verwundert.
    Â»Stimmt, aber dass die Frau so gekleidet ist, weil sie glühender Sisters-of-Mercy-Fan war, halte ich schon aus Altersgründen für unwahrscheinlich.«
    Â»Wie alt schätzt du sie?«
    Born ahnte, worauf Mannfelds Frage abzielte. »Ungefähr so alt wie Selma Tassen. Wissen wir schon, wer sie ist?«
    Â»Nein.«
    Â»Hat die KT denn keine Ausweispapiere gefunden?«
    Mannfeld schüttelte den Kopf. »Die Frau hatte absolut nichts bei sich. Insgesamt gibt die Spurenlage ohnehin nicht viel her. Die Kollegen haben weder auf der Bank noch auf dem Boden Blut gefunden. Also scheinen Fundort und Tatort nicht übereinzustimmen. Jemand muss die Leiche hier abgelegt haben. Reifenspuren ebenfalls negativ. Ist aber auch kein Wunder, da es letzte Nacht ordentlich geschneit hat.
    Â»Wer hat die Tote gefunden?«
    Â»Ein Jogger. Der Mann heißt Samuel Kohlberger und wird von Michalchewskis Leuten im Bus betreut.«
    * * *
    Durch die Baumreihen auf dem Hügel lugten die ersten Sonnenstrahlen. Fremden wusste nicht, wie lange er schon in Pantoffeln und Bademantel durch den Wald irrte. Zeit war eine Dimension, die er seit Stunden nicht mehr wahrnahm. Seine Füße fühlten sich taub an, und die mit Kabelbindern gefesselten Hände schmerzten. Geschüttelt von einem plötzlichen Weinkrampf, stützte er sich an einem Baumstamm ab. Den Kopf in den Nacken gelegt, blickte er nach oben. Durch den tränennassen Film vor seinen Augen sah er in dem kahlen Baumwipfel über ihm auf einem Ast einen großen schwarzen Vogel sitzen. Das Tier erhob sich in den Morgenhimmel, als er zum tausendsten Mal laut um Hilfe rief.
    Entkräftet ließ er sich in den Schnee sinken. In Sekundenschnelle drang das eiskalte Nass durch den Frotteestoff des Bademantels. In seinem Kopf hallte die Stimme des Wasserstoffblonden wider: »Du ab jetzt Schnauze halten.« Vielleicht würde er das ja zwangsläufig tun. Ironie des Schicksals, wenn er hier, nachdem sie ihn laufen gelassen hatten, erfrieren würde.
    Die letzten Stunden liefen wie im Zeitraffer vor ihm ab: das Geräusch an der Terrassentür, der Schlag auf den Kopf, die holprige Fahrt mit dem Kartoffelsack vor den Augen, der Marsch durch den Wald, die Scheinhinrichtung, das Kappen des Seils, das Aufschlagen auf dem harten Boden und das immer leiser werdende höhnische Lachen seiner Peiniger, während sie sich entfernten.
    Je länger er an den Baum gelehnt im Schnee kauerte, desto weniger spürte er die Kälte. Anscheinend stimmte, was man sich über den Erfrierungstod erzählte. Auch dass die Sterbenden mit der Zeit immer müder wurden. Und dass sich Sinnestäuschungen einstellten. Beispielsweise in der Ferne durch die Baumreihen huschende Scheinwerferlichter. Und das Gefühl von Wärme. Beinahe so mollig, als würde man an einem Kachelofen sitzen. Mit halb geöffneten Augen ließ er den Blick durch den Wald schweifen. Auf einmal fühlte er sich auch nicht mehr allein. Die bizarren Formen, die sich im Dämmerlicht abzeichneten, begannen Leben zu entwickeln: der aus dem kleinen Bachlauf trinkende Wolf, daneben die Pilzsammlerin mit ihrem Korb, die sich nach einem besonders schönen Exemplar bückte, und der Hirsch, der sein gewaltiges Geweih an einer Eiche rieb. Lächelnd dachte er an Felix und an Liliana Bode. Letztere lag wahrscheinlich noch schlafend in ihrem Bett.
    Als er den Kopf ein wenig zur Seite wandte, sah er es

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