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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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hatten strahlend blaue Augen, genau wie Felix. Seit Erscheinen des Artikels weinte seine Mutter ohne Unterlass. Im Verlauf des Abends war sein Vater zu ihm ans Fenster getreten. Ohne Vorwarnung hatte er ihm eine dermaßen kräftige Ohrfeige erteilt, dass seine Lippe aufplatzte und ihm das Blut übers Kinn lief.
    Als Fremden wegen der langen Wartezeit erstmals in Erwägung zog, Rosen könnte vielleicht doch die ganze Nacht im Hotel »Sascha« verbringen wollen, öffnete sich plötzlich die Rauchglastür, und zwei Männer traten ins Freie. Nachdem er erkannt hatte, wer da in Begleitung des Konzertmanagers das Hotel verließ, hätte er sich vor Erregung beinahe auf die Zunge gebissen. Der erste Impuls gebot ihm auszusteigen und die beiden zur Rede zu stellen. Doch nach kurzem Abwägen ließ er es sein.
    Als sich die Männer auf dem Gehweg per Handschlag verabschiedeten und in verschiedene Richtungen gingen, entschied er, dem Wasserstoffblonden zu folgen. Rosen konnte ihm auf Dauer ohnehin nicht davonlaufen. Ihn würde er früher oder später wieder zu Hause antreffen.
    Der Wagen des Mannes – ein silbergrauer Opel Astra mit Frankfurter Zulassung – parkte unweit des Hoteleingangs. Eine die Karosserie überziehende geschlossene Schneeschicht deutete darauf hin, dass das Fahrzeug schon eine ganze Weile dort stand.
    Fremden folgte seinem Peiniger mit dem fehlenden Ringfinger durchs Rotlichtviertel bis zum Basler Platz. Darauf bedacht, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, rätselte er, ob das der Wagen sein konnte, in dem man ihn entführt hatte. Doch er kam zu keinem Ergebnis. In jener Nacht hatte er einen Kartoffelsack über dem Kopf gehabt. Außerdem war er kein Autofreak, der anhand von Details wie Griffen, Polsterbezügen oder Fußmatten einen Fahrzeugtyp erkennen konnte.
    Nach Überqueren der Friedensbrücke nahm der Astra die Kennedyallee bis zum Autobahnanschluss Süd. Auf der A 3 schleppte sich der Pendlerverkehr in Richtung Osten. Geblendet vom Meer der Brems- und Rücklichter, schaute Fremden in den dunklen Himmel, wo sich eine ganze Reihe von Passagiermaschinen im Landeanflug auf den nahen Flughafen befand. Als sie das Offenbacher Kreuz passiert hatten, glaubte er kurzzeitig, das Ziel der Fahrt könnte das Ferienhaus der Bruckners sein. Doch was könnte der Wasserstoffblonde dort zu erledigen haben? Minuten später wechselte der Astra an der Anschlussstelle Hanau auf die Abfahrt zur B 45 in Richtung Babenhausen/Rodgau, und Fremden dämmerte, wohin die Reise wirklich ging.
    Als sie Bad König erreichten, setzte Schneefall ein. Der Astra parkte direkt vor dem Fachwerkhaus. Rosens Scherge machte sich nicht einmal die Mühe, den Wagen in einer Parallelstraße oder wenigstens ein paar Meter die Straße runter abzustellen.
    Dem Kofferraum entnahm er etwas, was in der Dunkelheit wie ein Stemmeisen aussah. Mit dem Werkzeug unter dem Arm stieg er über den Jägerzaun und verschwand hinter der linken Hausecke. Es dauerte nicht lange, bis ein leises Knacken ertönte, gefolgt vom Splittern einer Fensterscheibe.
    Dass er so etwas einmal erlebte, hätte Fremden nicht in seinen wildesten Träumen gedacht. Dass er in seinem Wagen sitzend Zeuge wurde, wie bei ihm eingebrochen wurde. Einschreiten konnte er nicht. Denn falls er Alarm schlug oder die Polizei rief, würde er niemals erfahren, was der Mann in seinem Haus zu suchen hatte. Außerdem nahm der Umstand, dass sich im Haus nichts Wertvolles befand, was zu stehlen sich lohnte, dem Geschehen einiges an Dramatik. Bruckners Anzahlung hatte er an dem Morgen, nachdem er überfallen worden war, nach Frankfurt mitgenommen. Doch ein Einbruchdiebstahl im klassischen Sinn fand hier ja wohl ohnehin nicht statt. Verblüfft registrierte Fremden, mit welcher Dreistigkeit der Wasserstoffblonde im Haus agierte. In den Zimmern schaltete er ohne jedwede Skrupel einfach das Deckenlicht an. In unregelmäßigen Abständen huschte die Silhouette des Mannes an den Fenstern vorbei.
    Etwa eine halbe Stunde später war der Spuk zu Ende. Die Beleuchtung erlosch, und Rosens Scherge trat durch die Haustür. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er einige Sekunden lang unter der Straßenlaterne verharrte. Fremden erkannte sofort, was er außer dem Stemmeisen in der Hand hielt. Es war die Akte zum Erpressungsfall Bruckner. Geistesgegenwärtig holte Fremden sein Handy aus der

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