Die Stunde des Löwen
am Rasthof BergstraÃe, verlieà er die Autobahn wieder. Fremden vermutete, dass ein Tankstopp anstand. Doch zu seiner Ãberraschung steuerte der Wasserstoffblonde den Wagen an der Zapfsäulenanlage vorbei auf den Parkplatz des Selbstbedienungsrestaurants zu.
Im Schutz eines parkenden SUV beobachtete Fremden, wie sich der Mann mit groÃen Schritten auf die Restauranttür zubewegte. Einen Moment lang überlegte er, ihm zu folgen. Doch das Risiko, entdeckt zu werden, schätzte er als zu hoch ein. AuÃerdem â was brachte es, wenn er aus allernächster Nähe mitbekam, wie der Mann pinkeln ging, sich die Hände wusch und anschlieÃend an der Theke Kaffee bestellte?
Den Jackenkragen hochgeschlagen, bezog Fremden stattdessen Position im unbeleuchteten Teil des Arials. Dort, wo im Sommer die AuÃenbestuhlung aufgebaut wurde. Dank der breiten, bodentiefen Fensterfront hatte er freien Blick in den Gastraum. Das Restaurant war nur mäÃig besucht. In Nähe des Eingangs saà eine junge Familie. Die Eltern aÃen, während die Kinder lachend durch die Stuhlreihen tobten. Am Nachbartisch unterhielt sich ein Trupp Fernfahrer über halb vollen Biergläsern. Die Heerschar der anderen Trucker, auf die der überfüllte Parkplatz hinwies, hatte sich offenbar bereits in die Kabinen ihrer Lastzüge zurückgezogen.
Mit einem Tablett in seiner Rechten trat der Wasserstoffblonde an den letzten der Fenstertische. Dort saà bereits ein Mann, der sein Gesicht hinter einer Zeitung verbarg. Gerade als sich Fremden fragte, weshalb sein Peiniger nicht einen der zahlreichen freien Tische wählte, legte der Zeitungsleser seine Lektüre beiseite. Es war Edgar Rosen, der seinen Handlanger mit einer einladenden Geste aufforderte, sich zu ihm zu setzen. Die Trauerkleidung hatte er mittlerweile abgelegt. Zur Stunde trug er wieder seinen elegant geschnittenen kastanienbraunen Nadelstreifenanzug.
Anfangs war es nur der immerfort lächelnde Rosen, der die Unterhaltung bestritt. Doch nach einer Weile meldete sich auch der andere zu Wort. Fremden ahnte bereits, welchem Zweck das Treffen diente. Das Handy griffbereit, wartete er auf den richtigen Augenblick. Und der kam, als der Wasserstoffblonde die gestohlene Akte aus seiner Jacke zog und sie Rosen übergab.
Als Fremden dem Astra zur Autobahnauffahrt folgte, sagte ihm sein Bauchgefühl, dass die Reise nicht gleich wieder zurück nach Frankfurt führen würde. Intuitiv spürte er, dass der Abend noch eine weitere Ãberraschung auf Lager hatte. Und tatsächlich â nach nur wenigen Kilometern bog der Wagen schon wieder von der A 5 ab. Ãber eine nahezu schnurgerade BundesstraÃe ging die Fahrt nach Seeheim-Jugenheim, zu einem mehrgeschossigen Wohnblock am Ortsrand.
Mit einer Mischung aus Skepsis und Neugierde musterte Fremden den Sechziger-Jahre-Bau, in dem Rosens Scherge verschwunden war. Ein tristes Mietshaus, dessen dunkle Fassade ein Meer von Satellitenschüsseln überzog. Auf zwei Balkonen wurde geraucht, Glutspitzen glimmten hell in der Dunkelheit auf, während hinter den umliegenden Fenstern bläuliches Fernsehlicht flackerte. Vielleicht hatte ihn sein Bauchgefühl in puncto Ãberraschung auch getäuscht, und der Wasserstoffblonde wohnte einfach nur hier. Einen Moment lang haderte Fremden mit seinem Entschluss, am Rasthof ihm und nicht Rosen gefolgt zu sein. Doch als er ein zweites Mal darüber nachdachte, wusste er, dass die Alternative nicht besser gewesen wäre. Mit seinem Porsche Cayenne hätte ihn Rosen auf der Autobahn garantiert abgehängt. Und schlieÃlich wäre die Spur des Wasserstoffblonden verloren, lieÃe er ihn erst einmal aus den Augen. Um Druck auf Rosen ausüben zu können, musste er mehr über den Mann in Erfahrung bringen.
Sich mental erneut auf eine ungewisse Wartezeit einrichtend, stellte Fremden die Rückenlehne des Fahrersitzes in eine flachere Position. Doch gerade als er sie bis zum Anschlag heruntergedreht hatte, ging im Treppenhaus die Flurbeleuchtung an. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der Wasserstoffblonde durch die Haustür trat. Ihm folgten vier Frauen, von denen die älteste höchstens Mitte zwanzig war.
Eine der Frauen trug eine dunkle Steppjacke und eine knallenge Jeans, deren strassbesetzte Nähte in der Dunkelheit glitzerten. Die anderen drei waren in bodenlange Mäntel gehüllt. In weiÃen High Heels staksten sie über
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