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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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Menschenreihen vor dem Grab. Der Großteil der Anwesenden war paarweise erschienen. Die wenigen Einzelpersonen unter den Trauernden waren eine rothaarige Frau in einem pelzbesetzten Mantel, ein auf einen Rollator gestützter weißhaariger Mann, Martha Rosens Nichte Ruth und eine etwas abseits stehende jüngere Frau in Gothic-Klamotten, bei der es sich vielleicht sogar um Cosma handelte. Niemand verhielt sich auffällig. Auch keine der Personen, die an den umliegenden Gräbern standen und ihre Angehörigen und Freunde besuchten.
    * * *
    Im Wagen drehte Fremden die Heizung auf die höchste Stufe. Er war erleichtert, dass die Beerdigung endlich vorüber war. In seinen dünn besohlten Schuhen hätte er es keine Sekunde länger auf dem gefrorenen Boden des Friedhofs ausgehalten. Rosen hingegen hatte gewirkt, als würde er die arktischen Temperaturen nicht einmal wahrnehmen. Tapfer hatte er neben dem Grab seiner Frau gestanden und zugesehen, wie ein Trauergast nach dem anderen ein Schäufelchen Sand auf den Sarg gab.
    Er wartete noch ein paar Minuten, bis sich die Trauergesellschaft auf ihre Wagen verteilt hatte. Als sich der von dem Mercedes-Transporter angeführte Autokorso in Bewegung setzte, folgte er der Kolonne in Richtung Innenstadt. Sein Peugeot war das einzige Fahrzeug, das nicht mit einem Trauerflor geschmückt war. Nach etwa zehn Minuten fand die Fahrt im Grüneburgweg vor einem italienischen Restaurant ihr vorläufiges Ende. Im Bewusstsein, dass ein Leichenschmaus durchaus länger dauern konnte, besorgte er sich in der nahe gelegenen Aral-Tankstelle eine Flasche Cola und eine Tüte Paprikachips. Als er zurückkehrte, warf er einen Blick durch die Fensterscheibe in den Gastraum. Die Trauergesellschaft saß an einer langen Tafel, und die Bedienung nahm gerade die Getränkebestellung auf.
    Zwei Stunden später saß er immer noch hinter dem Steuer seines Wagens. Ein Mix aus Chartmusik und mäßig interessanten Reportagen rieselte aus den Lautsprechern. Die Tüte Chips hatte er zur Hälfte verspeist. Angeblich sollten frittierte Insekten ähnlich schmecken. Liliana Bode kam ihm in den Sinn, und er fragte sich, ob sie schon wieder von ihrem Münchentrip heimgekehrt war? Ein klärendes Wort würde er gern noch mit ihr wechseln. Die Vorstellung, ihr mit dem treudoofen Blick in Erinnerung zu bleiben, der bei ihrer letzten Begegnung auf seinem Gesicht gelegen hatte, widerstrebte ihm. Er holte sein Handy aus der Jackentasche und wählte ihre Nummer. Doch als auch nach dem siebten Klingeln niemand abhob, legte er auf.
    Eine weitere halbe Stunde später hatte immer noch keiner der Trauergäste das Restaurant verlassen. Nicht einmal die Raucher ließen sich blicken. Allmählich bezweifelte er den Sinn der Warterei. Selbstverständlich konnte er auch noch den Rest des Tages hier hinterm Steuer sitzen, Cola trinken und sich mit Chips vollstopfen. Irgendwann musste Rosen ja herauskommen. Doch was geschah dann? Wahrscheinlich würde der Mann nach Hause fahren und dort in aller Stille weiter um seine Frau trauern. Kaum anzunehmen, dass er an einem Tag wie diesem etwas unternahm, was ihn mit dem nächtlichen Überfall und somit indirekt auch mit seinen Ermittlungen im Fall Bruckner in Verbindung brachte.
    Mit einem leisen Seufzen legte Fremden die Chipstüte auf den Beifahrersitz und startete den Motor. Den Blinker setzend, blickte er sich um, um nachzusehen, ob die Fahrbahn frei war. Und just in dem Moment, als er seinen Kopf wieder nach vorne wandte, öffnete sich die Restauranttür. Es war die gesamte Trauergesellschaft, die ins Freie trat. Jeder Einzelne verabschiedete sich per Handschlag oder Küsschen von dem frisch gebackenen Witwer. Am Schluss stand nur noch Rosen auf dem Bürgersteig. Winkend schaute er den Davonfahrenden hinterher. Als der letzte Wagen aus seinem Blickfeld verschwunden war, langte er in seine Manteltasche und holte ein Handy hervor. Bei ihm kam die Verbindung offenbar zustande. Während er die ersten Sätze mit seinem Gesprächspartner wechselte, verriet sein Gesichtsausdruck nicht die geringste Gefühlsregung. Doch dann schien er sich über etwas aufzuregen. Mimik und Körperhaltung veränderten sich schlagartig. Die Aggressivität, die er auf einmal ausstrahlte, passte überhaupt nicht mehr ins Bild des trauernden Ehegatten.
    * * *
    Das leise Rattern der Rollen im Ohr, zog sie den

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