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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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Jackentasche und fotografierte die Szene mit der Kamera.
    * * *
    Das Erste, was Mannfeld beim Betreten des Krankenzimmers auffiel, war der in sanftem Grün leuchtende Vitaldatenmonitor der Gerätekombination, an die Milan Tassen angeschlossen war. Erst ihr zweiter Blick galt dem Bett mit dem Unfallopfer. In der Vene seines linken Handrückens steckte eine Kanüle, deren Anschlüsse über ein Gewirr aus durchsichtigen Schläuchen mit Infusionsflaschen verbunden waren.
    Obwohl Dr.   Brunner sie bereits an der Schleuse zur Intensivstation vorgewarnt hatte, zuckte sie innerlich zusammen, als Milan Tassen den Kopf in ihre Richtung drehte. Die Gesichtsform des jungen Mannes hatte nur noch entfernt mit der Physiognomie eines unversehrten Menschen zu tun. Die linke Partie war dunkelblau unterlaufen und von der Schwellung so stark deformiert, dass das Auge vollständig in der Augenhöhle verschwand. Die rechte Schädelhälfte war glatt rasiert. Ein etwa handflächengroßes weißes Pflaster klebte an der Stelle, an der die Neurochirurgen den Knochen zur Druckentlastung hatten aufbohren müssen. Am schockierendsten jedoch war der Anblick des mit Jodtinktur verschmierten Anschlusses der Herz-Lungen-Maschine in der Halskuhle. Ein kurzer Seitenblick auf Born zeigte ihr, dass es ihrem Kollegen nicht viel anders ging.
    Â»Können Sie mich einigermaßen gut verstehen?«, erkundigte sich Mannfeld und steckte ihren Dienstausweis wieder in ihre Tasche.
    Milan Tassen antwortete mit einem Nicken.
    Â»Mein Kollege und ich sind heute hier, weil wir Ihnen leider eine traurige Mitteilung zu machen haben.«
    Â»Eine traurige Mitteilung?«, wiederholte Milan Tassen nuschelnd, und erst in diesem Moment bemerkte Mannfeld, dass dem jungen Mann die beiden vorderen Schneidezähne ausgebrochen waren.
    Â»Ihre Stiefmutter wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. In der Nacht von Montag auf Dienstag hat man sie ermordet.«
    Einige Sekunden lang unterbrach nur ein Husten auf dem Flur die Stille im Krankenzimmer.
    Â»Und ich dachte schon, die traurige Mitteilung besteht darin, dass mir der Zoo gekündigt hat.«
    Obwohl sie durch Patenstein bereits wussten, wie schlecht es um das Mutter-Sohn-Verhältnis stand, überraschte sie Milan Tassens kaltherzige Reaktion.
    Â»Ihre falsche Krankmeldung kümmert uns nicht. Wir ermitteln wegen Mordes. Ihre Stiefmutter wurde am Frankfurter Flughafen in einem Hotelzimmer getötet. Können Sie sich vorstellen, was sie im Sheraton gemacht hat?«
    Â»Wahrscheinlich Vaters Erbe unter die Leute gebracht. Darin war sie große Klasse.«
    Auch bei diesem sarkastischen Kommentar musste sie an Patensteins Worte denken. Die fehlende Nestwärme, die Konkurrenz um die Liebe des Vaters und die zahlreichen Kränkungen, etwa durch das erzwungene Kellnerpraktikum – das alles schien in der Psyche des jungen Mannes tiefe Spuren hinterlassen zu haben.
    Â»Wann haben Sie Ihre Stiefmutter das letzte Mal gesehen?«
    Â»Ist schon ein paar Monate her. Muss irgendwann im Sommer gewesen sein. Da kam sie wegen einer Unterschrift an, die ich leisten sollte.«
    Â»Und mit ihr telefoniert?«
    Â»Dazu gab es keinen Grund. Wie ist Selma denn …?«
    Â»Ihr wurde das Genick gebrochen.« Einen Moment lang erwog sie, Milan Tassen zu fragen, wo er in der Mordnacht gewesen war. Doch im Grunde war das überflüssig, da sie nach wie vor von einem Täter ausgingen und Tassen durch den Unfall für den zweiten Mord das perfekte Alibi besaß.
    Â»Das … ist ja … hart«, sagte Milan Tassen gedehnt, wobei sein rechtes Augenlid zu flattern begann.
    Mannfeld warf Born einen Blick zu. Ihr Kollege verharrte schweigend am Fußende des Betts. Das Haarnetz über seine Andy-García-Frisur gestülpt und eingehüllt in den blauen Krankenhausumhang, stierte er an einen fernen Punkt an der Wand. Nichts schien mehr übrig zu sein von dem Elan, mit dem er nach der Beerdigung auf die junge Frau in Schwarz zugesteuert war und sich erkundigt hatte, ob sie Cosma sei. Sie wandte sich wieder dem Kranken zu.
    Â»Es wurde noch eine zweite Frau ermordet. Nur zwei Tage nach Ihrer Stiefmutter. Sagt Ihnen der Name Martha Rosen etwas?«
    Â»Martha Rosen«, wiederholte Tassen, während Dr.   Brunner am Stellrädchen eines der Infusionsschläuche drehte. »Den Namen kenn ich nicht.«
    Â»Ich würde Ihnen gern eine Aufnahme von der

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