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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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ich plötzlich weg muss oder so …«
    »… dann werden wir uns nicht grämen. Ich weiß!« Ihre Mutter umarmte sie. »Und falls ihr so viel zu tun habt, dass es heute zu eng wird – wir sehen uns ja bald in den Ferien. Wenn du willst, kannst du natürlich auch deine Studienkollegen jederzeit mitbringen.«
    »Nach Ägypten?«, fragte Nos Großmutter.
    »Ja, natürlich. Dort leben wir schon seit längerer Zeit«, lächelte Filines Vater.
    »No, das ist einmalig. Einmalig!« Seine Großmutter ließ sich auf einen mit rotem Samt gepolsterten Stuhl fallen und legte ihre Hände auf die goldenen Armlehnen.
    In diesem Moment tönte das Geräusch klackernder Absätze durch die Aula.
    »Rufus?«
    Rufus drehte sich um.
    Ein paar Meter von ihm entfernt stand seine Mutter. Sie trug ein schwarzes Kleid und einen schwarzen Mantel und ihre roten Haare lagen in der üblichen steifen Welle an ihrem Kopf.
    »Rufus!«
    Ihr Stimme war leise, aber eindringlich.
    »Rufus! Erkennst du mich nicht?«
    Und sie war kalt. Viel kälter als die Stimme von Nos Oma oder die von Filines Eltern. Sie war so kalt, dass alle für einen Moment reglos dastanden und wie von einem Eishauch umgeben den Blick auf die Sprecherin richteten.
    Kalt, wie die ganze Welt da draußen, dachte Rufus plötzlich, und er fühlte sich klein und verlassen.
    Seine Mutter streckte die Arme aus und kam auf ihn zu.
    Sie trug dünne, schwarze Lederhandschuhe.
    »Rufus, mein Sohn! Warum begrüßt du mich nicht?«
    »Mama.« Rufus sah zu ihr auf. Nein, ganz so ähnlich war ihr Gesicht dem Kopf der Nike doch nicht. Ihr Kinn war viel schärfer, ihre Stirn breiter, und sie hatte etwas müde Augen, die dennoch kühl und forschend auf ihm ruhten.
    Sie umarmte ihn kurz. »Wie schön, dich zu sehen! Wie geht es dir? Bist du zufrieden?«
    »Ich freue mich auch, Mama«, sagte Rufus. Aber er war sich nicht sicher, ob das stimmte.
    »Wundervoll!« Seine Mutter ließ den Blick durch die Aula schweifen. »Ich habe dich schon überall gesucht. Herr Direktor Saurini hat mich bereits begrüßt. Guten Tag!« Sie nickte in die Runde. Dann wandte sie sich wieder Rufus zu. »Lernst du gut? Kannst du dich hier behaupten?«
    Rufus wusste nicht, was er antworten sollte. Behaupten? »Ja, Mama«, sagte er schließlich. »Ich lerne hier ziemlich viele coole Sachen.«
    Sie sah ihn erschrocken an. »Coole Sachen?«
    Rufus zuckte zusammen. Cool? Hatte er das gerade wirklich gesagt?
    »Rufus!«, mischte sich Filine in einem leicht zickigen Ton ein und lächelte jetzt etwas angeberisch. »Cool gehört hier wirklich nicht zum Sprachrepertoire!«
    Zum allerersten Mal war Rufus richtig froh über diese Seite von Filine, denn seine Mutter drehte sofort gespannt den Kopf zu ihr, und Rufus konnte die Luft ausstoßen, die sich vor Schreck in seiner Lunge gestaut hatte.
    Seine Mutter war noch viel schlimmer als in seiner Erinnerung. Da war sie geschäftsmäßig und hart und immer irgendwie etwas abwesend gewesen. Aber seitdem er an der Akademie war, hatte sich auch wieder das andere, ältere Bild von ihr in seine Erinnerung geschoben, in dem sie ein liebevolles, etwas verlorenes und manchmal auch sehr schönes Gesicht mit weichen Zügen hatte. Aber dieses Bild gab es in Wirklichkeit nicht mehr. Tatsächlich sah seine Mutter überhaupt kein bisschen aus wie der Kopf der Nike.
    Dann hörte er wieder Filines Stimme, die in leicht schnippischem Ton zu seiner Mutter sagte: »Ich habe Rufus schon siebenundvierzig Mal gesagt, er soll nicht mehr ›cool‹ sagen! Und ich habe mir vorgenommen, dass er es beim fünfzigsten Mal schafft!«
    Sie lachte scheußlich gekünstelt. Und Rufus sah, wie seine Mutter zustimmend nickte.
    Filine wandte sich Rufus zu. Sie blickte ihm direkt in die Augen, und er spürte das Mitgefühl hinter ihrer arroganten Fassade.
    »Das geht hier natürlich nicht, Rufus. Denk daran, was uns Frau Iggle in Gesprächsführung beigebracht hat: Höflich und korrekt, aber immer bestimmt. Sag deiner Mutter ruhig, was wir hier lernen, das ist doch kein Geheimnis.«
    Rufus straffte die Schultern. Und plötzlich hörte er sich zu seiner Mutter sagen:
    »Wir haben Wirtschaftslehre, Mathematik, Geschichte, Geschäftsverhandlungen und natürlich auch Kontoführung.«
    Filine hob unauffällig einen Daumen. Dann wandte sie sich Rufus’ Mutter zu. »Guten Tag, Frau Minkenbold, das war der wahre Rufus! Er war eben nur aufgeregt, weil es heute der erste Besuchstag ist und wir uns vorgenommen hatten, unseren Eltern und

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